OberstaufenAn meine Schulzeit erinnere ich mich immer gern, obwohl damals eigentlich eine "schlechte" Zeit war. Wir hatten kein Telefon, es gab noch kein Handy und es fuhr auch kein Schulbus. Wir gingen im Sommer immer barfuß zur zwei Kilometer entfernten Schule, auch bei Wind und Regenwetter. Die Lehrer hatten noch das Züchtigungsrecht, für kleine Verfehlungen war der Tatzenstecken zuständig und für "böse Buben" gab es den gefürchteten Hosenspanner mit dem Haselnussstecken.
Im Herbst 1940 wurde ich eingeschult. Das war für uns Bauernbuben ein großer Einschnitt. Die Kinder aus dem Marktflecken kannten sich alle schon vom Kindergarten. Wir haben am Anfang eher "gefremdelt". Aber nach kurzer Zeit wurden wir dann schon anerkannt. Die ersten beiden Jahre bemühten wir uns, Lesen und Schreiben zu lernen, zunächst in deutscher, dann in lateinischer Schrift. Sonst war nichts besonderes, es war halt Krieg, aber der betraf uns noch nicht.
"Adolf Hitler liebt die Kinder"
Im 3. Schuljahr bekamen wir einen neuen Lehrer aus dem Ruhrgebiet, er war anscheinend ausgebombt worden.
Er war ein guter Pädagoge, ich glaube, er war kein begeisterter Nationalsozialist, aber natürlich wurde an Hitlers Geburtstag das Deutschlandlied gesungen und das Lied "Es zittern die morschen Knochen" einstudiert und wir mussten das schöne Verslein auswendig lernen: "Adolf Hitler liebt die Kinder, darum lieben wir ihn auch. Wir streuen ihm Blumen und rufen ,Heil Hitler".

Solidarität besonders mit Partnerstadt
Am Memminger Rathaus weht nun die israelische Flagge
Mein Nachbarsbub war an Führers Geburtstag geboren, er bekam vom Ortsgruppenleiter immer zum Geburtstag ein Geldgeschenk. Wenn man ihn auf den Namen "Adolf" getauft hätte, hätte er sicher noch mehr bekommen.
Beim Jahrestag "Marsch zur Feldherrenhalle" wurde das Horst-Wessel-Lied gesungen und das Lied "Ein junges Volk steht auf zum Sturm bereit, reißt die Fahnen höher, Kameraden". Und zum Heldengedenktag "Die Fahne hoch" und "Wir wollen weitermarschieren, wenn alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt!"
Dass die Religionsausübung durch die Schule behindert wurde, haben wir eigentlich nicht bemerkt, der Religionsunterricht wurde halt auf die letzte Stunde verlegt, wo die Schüler nicht mehr so aufnahmefähig waren. Ob und wann das Kruzifix in den Schulzimmern abgehängt und durch das Hitlerbild ersetzt wurde, weiß ich nicht mehr.
In unserer Klasse waren keine jüdischen Kinder. Ob früher welche da waren und mit ihren Familien schon weggezogen waren, kann ich nicht sagen. In meinem Zeugnisheft entdeckte ich erst viel später, dass bei meinen Personalien die Frage "db" mit Ja beantwortet war. Es wurde also damals schon nach "Deutschblütig", also nach "Arisch" gefragt.
In unsere Klasse kamen immer mehr Schüler aus ausgebombten Städten. Die Mädchen wurden immer neben die Bauernbuben gesetzt, aber wir haben nicht gemerkt, dass sie wahrscheinlich Hunger hatten und uns um unser Pausenbrot beneideten.
Die Ernährung des Volkes wurde durch Lebensmittelmarken geregelt. Die Bauern bekamen kleinere Selbstversorgerkarten. Mein Vater schimpfte immer, dass die Grünlandbauern genau so wenig Lebensmittel bekamen wie die Ackerbauern, obwohl wir kein Getreide und keine Ackerfrüchte hatten. Für uns war das Essen ziemlich eintönig, aber wir hatten zumindest keinen Hunger, vor allem, weil meine Eltern Butter und Käse "schwarz" gemacht hatten.
Im Winter 1941 bekam unser Dorf Einquartierung von jungen Soldaten. Sie sollten die Wehrertüchtigung im Winter lernen und wurden von den Bauern verpflegt. Am Schluss hielten sie vor unserem Haus ein Manöver ab. Unsere Soldaten haben dann bei uns gefeiert, weil sie "gewonnen" haben. Ich habe damals gemeint, der Krieg sei jetzt aus, aber da hatte ich mich schwer getäuscht. Sie mussten alle nach Stalingrad und da kam keiner mehr zurück
"Nur ja nicht auffallen"
Jedes Jahr war Musterung aller wehrfähigen Männer. Mein Vater war als Landwirt "UK" gestellt, das heißt "unabkömmlich". Er musste aber noch auf einem anderen Hof mitarbeiten. Die Parole lautete damals "Nur ja nicht auffallen, still sein und nichts sagen, damit man nicht zum Kriegsdienst einberufen wird."
Meine Eltern waren von Anfang an Regime-Gegner, aber sie haben nie laut über die Regierung geschimpft. Als wir einmal von der Schule ein Spottversle über den "dicken, fetten Göring" heimbrachten, sagten sie, wir wollen das ja zur niemand sagen. In der Schule wurde immer mehr über die siegreiche Wehrmacht auf allen Kriegsschauplätzen der Welt gesprochen. Da waren wir Buben schon auch ein bisschen stolz darauf.
Als wir zehn Jahre alt waren, sollten wir uns zum Jungvolk bei der Hitlerjugend melden. Wir waren damals jung und sportlich und begeisterungsfähig und hätten am liebsten gleich mitgemacht, obwohl unsere Eltern immer absolut dagegen waren. Aber als dann der blödeste Mitschüler aus unserer Klasse in SA-Uniform und mit Hakenkreuzbinde uns kommandieren wollte, haben wir Bauernbuben ausgemacht, da gehen wir einfach nicht hin.
Zur Kriegsweihnacht 1943 mussten wir Schüler Grußbotschaften an die Frontsoldaten schicken, damit sie wissen, dass die Heimat an sie denkt. Im letzten Kriegswinter versagte in unserer Schule die Zentralheizung. Zum Glück hatten wir im Schulzimmer noch einen Kachelofen, da mussten wir Bauernbuben jeden Tag das Brennholz mitbringen.
Über unsere Pfarrkirche hat einmal ein Nazifunktionär gesagt: "Dieser Steinhaufen wird auch noch abgebrochen!" Als dann im 4. Schuljahr vom Kirchturm die Glocken heruntergeholt wurden, weil sie zur Waffenherstellung eingeschmolzen werden sollten, sagte unser Messner: "Holt grad die Turmuhr auch noch runter, jetzt wissen wir schon, wie spät es ist!"
Mein Vater wurde zum Volkssturm verpflichtet. Die älteren Männer und die ganz jungen Buben sollten eine Panzersperre bauen und aus dem Wald auf anrückende Panzer schießen. Zum Glück ist es dann nicht so weit gekommen, die Panzer waren schneller da.
Eine Woche vor Kriegsende wurde unsere Volksschule aufgelöst. Man war froh, dass es endlich zuende ging. Uns Schülern wurde Angst gemacht mit Schauermärchen, was die Russen alles mit uns machen werden: Eine Hand abhacken oder die Augen ausstechen.
Als dann endlich die französischen Panzer kamen, standen wir mit weißen Fahnen vor unserem Haus. Wir waren froh und dankten unserem Herrgott, dass dieser mörderische Krieg und dieses verbrecherische Regime zu Ende war und dass unser Ort nicht in letzter Minute noch verteidigt wurde.