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Alkoholentzug ohne dass es der Chef weiß

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Alkoholentzug ohne dass es der Chef weiß

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    Kaufbeuren(mab). - Einen neuen Weg in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit geht das Kaufbeurer Bezirkskrankenhaus (BKH): Anstatt die Betreffenden in eine oft bis zu sechs Monate lange Rehabilitation fernab von Familie und Arbeitsplatz zu schicken, können die Patienten nun in ihrem Umfeld bleiben, weiter arbeiten und werden ambulant therapiert. Die Kostenersparnis ist dabei immens: 'Eine Langzeittherapie wird in der Regel mit 40000 Euro beziffert. Bei unserem Angebot fallen dagegen nur rund 6300 Euro Kosten an - sofern der Patient weiter arbeiten geht', erläutert Oberarzt Dr. Martin Schmidt, Suchtkoordinator des Bezirkes Schwaben, der das Modellprojekt gemeinsam mit dem Ärztlichen Direktor des BKH, Dr. Michael von Cranach, ins Leben gerufen hat. Das Konzept der 'modifizierten Kurzzeitterapie' besteht aus zwei Teilen. Zunächst wird die Rehabilitation mit einer vierwöchigen stationären Phase eingeleitet und im Anschluss daran in einer zwölfmonatigen ambulanten Phase fortgesetzt. Ein entsprechender Vertrag für das Modellprojekt sei mit einem großen Kostenträger, der Landesversicherungsanstalt (LVA) Schwaben, jetzt möglich geworden. Schmidt ist von einem medizinischen Erfolg des Konzeptes überzeugt. Bei der klassischen Langzeittherapie würden bislang nur ein bis zwei Prozent derjenigen, die eine Behandlung bräuchten, erreicht. 'Und davon brechen auch noch im Schnitt 40 Prozent ab', so Schmidt weiter. 'Die restlichen 98 Prozent machen erst gar keine suchtspezifische Rehabilitation, trinken entweder weiter und manche schaffen es irgendwie, weniger zu trinken oder auch aufzuhören. Viele wagen es nicht, eine mehrmonatige, stationäre Langzeitrehabilitation durchzuführen, weil sie Angst vor einem Arbeitsplatzverlust haben.' Bei dem Modellprojekt könne der Betreffende in seinem sozialen Umfeld bleiben, weiter arbeiten (sofern er eine Arbeit hat) und 'der Chef braucht noch nicht einmal zu wissen, dass sein Mitarbeiter eine Alkoholentzugstherapie macht.' Obwohl es aus suchtmedizinischer Sicht als besser angesehen werde, wenn das Umfeld in die Problematik einbezogen sei. 'Wir sind davon überzeugt, dass wir so die betreffenden Menschen besser erreichen', erläutert Schmidt. 'Man braucht lediglich die grundsätzliche Bereitschaft, eine Therapie zu machen.' Die Therapie beinhalte Kriseninterventionsgespräche, gegebenenfalls Hausbesuche und als Behandlungskorsett 80 ambulante Psychotherapiestunden, die sich über ein Jahr erstreckten. Die Termine finden für Berufstätige außerhalb der Arbeitszeiten statt. Es können aber genauso auch Nichtberufstätige teilnehmen. Selbst wer bereits irgendeine Therapie gemacht hat, kann jederzeit in das Projekt aufgenommen werden. 'Es gibt praktisch keine Eingangsvoraussetzungen, außer dass jemand bei der LVA Schwaben rentenversichert sein muss.'

    Tausende alkoholkrank im Allgäu Das Modellprojekt wird wissenschaftlich begleitet und nach zwei Jahren in seiner Wirksamkeit bewertet. Zwischen vier und fünf Prozent der Bevölkerung seien alkoholabhängig im Sinne der Medizin. Das heißt, dass bei den Betreffenden von acht verschiedenen Faktoren wie Entzugserscheinungen, starker Wunsch oder Zwang, Alkohol zu konsumieren, soziale Risikobereitschaft (zum Beispiel in Kauf zu nehmen, den Führerschein zu verlieren) oder fortschreitende Gewöhnung drei konkret zu bejahen sind. Die Trinkmenge ist dabei von nachrangiger Bedeutung. 'Der eine kann bei vier Halben Bier am Tag abhängig sein, der andere bei 15 Bieren eventuell nicht.' Viel seien klinisch nicht auffällig. Für Kaufbeuren mit seinen 44000 Einwohnern geht Schmidt sicher von 1500 bis 2000 Alkoholabhängigen aus. Für das Allgäu mit etwa 600000 Einwohnern sei mit 20000 bis 30000 Abhängigen zu rechnen. i Das Modellprojekt im BKH Kaufbeuren ist auf zwei Jahre angelegt. Wer eine wohnortnahe Entwöhnungstherapie anstrebt, kann sich unter (08341) 72-1675 informieren. Voraussetzung ist, dass der Kostenträger der Reha-Maßnahme die LVA Schwaben ist.

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