Artikel: Abnormität kennt keine Grenzen

16. Dezember 2002 20:30 Uhr von Allgäuer Zeitung

Dr. Knut Klever über sexuellen Missbrauch von Kindern

Kaufbeuren(sh). - Immer wieder werden Fälle von Kindesmissbrauch bekannt. Vor wenigen Tagen hat ein 22 Jahre alter Oberallgäuer gestanden, sich mehrfach an einem vierjährigen Mädchen vergangen zu haben. Wir sprachen mit Dr. Knut Klever vom Kaufbeurer Bezirkskrankenhaus über Missbrauch und Kinderpornografie. Für die meisten ist die Vorstellung, dass jemand ein Kind missbraucht, unbegreiflich. Was ist mit einem Menschen los, der so etwas tut? Klever: Die menschliche Abnormität kennt keine Grenzen. Bei so etwas wie Kindsmissbrauch liegen große Defizite in der Persönlichkeit zugrunde. Ein wirklich pädophiler Mensch ist jemand, der sexuell mit Erwachsenen nichts anfangen kann. Er ist in seiner Sexualität so gestört, dass er von ihnen nicht angesprochen wird. Es können auch Versagensängste eine Rolle spielen. Dann vergreifen sich Menschen an Kindern, weil sie Angst vor gleichgestellten Partnern haben. Insgesamt kann man sagen: Je jünger das Opfer, desto stärker die Persönlichkeitsstörung des Täters. Die Hintergründe solcher Taten liegen häufig in der Entwicklung des Täters, der möglicherweise selbst mit Gewalt oder Missbrauch konfrontiert war. Aber wie kann man Täter werden, wenn man selbst einmal das Opfer eines Missbrauchs gewesen ist? Klever: Viele veranstalten eine Re-Inszenierung dessen, was ihnen passiert ist.

Manche sind so in ihrer Opferrolle, dass sie es nicht merken, was sie anderen Menschen damit antun. In manchen Fällen spielt auch eine Art Rachegedanke eine Rolle. In wie viel Prozent der Fälle sind Triebtäter tatsächlich selbst Opfer gewesen? Klever: Das ist sehr schwer zu sagen. In Untersuchungen wurde jedenfalls festgestellt, dass es einen sehr deutlichen Zusammenhang gibt zwischen Opfer sein und Täter werden. Sind Menschen, die Kinder missbrauchen, überhaupt therapierbar? Klever: Das ist eine Sache, die durch ein Sachverständigen-Gutachten vor Gericht festgestellt werden muss. Dann wird die Persönlichkeit des Täters gründlich untersucht. Dabei gibt es verschiedenste Konstellationen. Beispielsweise kann jemand aufgrund einer Persönlichkeitsstörung zwar vermindert schuldfähig sein - eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus wird aber dennoch nicht angeordnet, weil man die Störung als nicht therapierbar einordnet. Außerdem muss man erwägen, welche Gefahr von einem Menschen ausgeht und ob nach einer Haftstrafe eine Sicherungsverwahrung nötig ist. Wenn der Täter verurteilt wurde - wie hoch ist die Gefahr, dass er sich möglicherweise wieder an einem Kind vergreift? Klever: Das hängt vom Einzelfall ab. Je nach Stärke der Störung kann die Wiederholungsgefahr bei bis zu 50 Prozent und höher liegen. In anderen Fällen sind es 20 bis 30 Prozent. Man kann aber sagen, dass ohne Therapie die Wiederholungsgefahr höher liegt als mit. Deshalb werden zunehmend nicht nur bei einer Unterbringung, sondern auch im Strafvollzug Therapien angeboten. Thema kinderpornografische Bilder: Was bewegt Menschen, solche Fotos zu sammeln und sie sich anzusehen? Klever: Da spielt die Fantasie eine sehr große Rolle. Schon unbewegte Bilder können eine sexuelle Stimulation bei Menschen auslösen. Mit einem einzigen Bild werden im Kopf verschiedenste Vorstellungen geweckt - wie in einem Film läuft dann eine fiktive Handlung ab, etwa beim Masturbieren.