Begonnen hat alles 1990. Damals setzte sich Lisa (Name von der Redaktion geändert) ihre erste Spritze Heroin. Sie geriet in die Abhängigkeit - eine von, grob geschätzt, rund 70 Personen, die allein im Ostallgäu heroinabhängig sind. Heute wohnt Lisa in Füssen, hat einen Job, einen fast normalen Alltag. "Damit ich das aber alles schaffe, bin ich auf meine tägliche Dosis Polamidon angewiesen", erklärt die junge Frau. Das ist ein Medikament, mit dem Heroinabhängige ihre Droge unter ärztlicher Aufsicht "substituieren" (siehe Infoblock). Auch Lisa.
Seit 15 Jahren ist sie Patientin bei Dr. Carsten Ottenthaler. Doch ab April ändert sich das: Ottenthaler, in Marktoberdorf der letzte Substitutionsarzt, stellt zum 31. März seine Betreuung ein. "Die Entscheidung fällt mir sehr schwer. Aber ich kann diese Patienten aus persönlichen Gründen leider nicht weiter betreuen." Lisa ist verzweifelt: "Ich weiß nicht, was ich dann tue." Denn die nächste Substitutionsmöglichkeit liegt in Kaufbeuren: bei einem niedergelassenen Arzt und in der Ambulanz des Bezirkskrankenhauses (BKH). Doch schon jetzt sind so gut wie alle Plätze belegt.
Ottenthaler steht mit seiner Entscheidung nicht alleine da. Schwabenweit bieten immer weniger Ärzte die Therapie; immer häufiger finden Heroinabhängige keinen Therapieplatz. "Es ist vor allem der Nachwuchs, der fehlt", beklagt Dr. Friederike Rahlf-Martin, Suchtkoordinatorin für den Bezirk Schwaben.
Weshalb sind immer weniger Ärzte zur Substitution bereit? "Die damit verbundene Belastung wurde für mich und mein ganzes Praxisteam einfach zu groß", erklärt Ottenthaler. Sowohl durch den Arbeitsaufwand, vor allem aber emotional. Auch sei "der Druck durch die Staatsanwaltschaft in den vergangenen Jahren für alle substituierenden Ärzte stark gestiegen". Das bestätigt auch Rahlf-Martin. Da die ausgehändigten Medikamente unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, müssen Ärzte bei der Abgabe sehr strenge Regeln beachten.
"Viele haben Angst, etwas zu übersehen und sofort wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz belangt zu werden", erklärt die Ärztin.
Rückkehr in die Illegalität droht
Auch Barbara Braunmüller, Leiterin der Suchtberatungs- und -behandlungsstelle der Caritas Kaufbeuren, beschreibt diese Entwicklung als "sehr problematisch": "Wir befürchten, dass viele Patienten, sobald sie ihren Therapieplatz verlieren, nur die Rückkehr in die Illegalität als Ausweg sehen und wieder illegale Drogen konsumieren."
Diese Sorge hat auch Ottenthaler. Deshalb fordert er, gemeinsam mit anderen Substitutionsärzten, von der Kassenärztlichen Vereinigung, 50 zusätzliche Substitutionsplätze am BKH Kaufbeuren sowie weitere Plätze am BKH Kempten zu genehmigen. Auch künftig müsse die ortsnahe Versorgung heroinabhängiger Patienten sichergestellt werden. Rahlf-Martin betont: "Vor allem die Bedingungen, unter denen Substitutionsärzte arbeiten, müssen wieder attraktiver werden." Viele Ärzte sollten wenige Patienten substituieren. Bis dahin bleibt Lisa nur, sich um einen der wenigen Plätze in Kaufbeuren zu bewerben. (mba)