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Nur Narren bekommen

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    den Schlüssel freiwillig Faschingsgilde stürmt das Rathaus und befragt das Orakel Kempten (pa). Wenn zwei so unterschiedliche Dinge wie Fasching und Wahlkampf zusammen fallen, dann erhebt sich die Frage: Was zieht man an in solch doppelt närrischen Zeiten? Der Kemptener Oberbürgermeister, normalerweise ein modisch adretter Krawattenmann, hatte gestern seinen ältesten Schlips aus der hintersten Schrankecke geangelt. Wohlweislich, denn als am gumpigen Donnerstag um 11.11 Uhr im Kemptener Rathaus die Narren das Regiment übernahmen, da war der Halsschmuck mit einem Scherenschnitt weg.

    Aber nicht nur der. Weg vom Fenster war auch der OB Dr. Ulrich Netzer selber, als die Faschingsgilde Rottach das Rathaus stürmte und Prinz Richard I. und ihre Lieblichkeit Regina I. den Amtsinhaber vom Thron stürzten. 'Was bleibt mir anderes übrig, als der zarten Gewalt zu weichen', jammerte der Entmachtete. Und fügte hinzu: 'Euch gebe ich den Rathausschlüssel freiwillig ab, ansonsten aber werde ich ihn nicht freiwillig hergeben'.

    Zur Strafe für diese unprogrammgemäße Wahlkampfeinlage wurden ihm die Hände gefesselt ('aua, das ist ja Körperverletzung'), dann wurde Netzer von der Wache abgeführt auf den Rathausplatz. Wo er vor johlendem Volk Rechenschaft ablegen musste über seine Amtszeit. Und das fiel dann im Wesentlichen so aus: 'Wir haben eine Menge Löcher gebuddelt in der Stadt. Jetzt muss man sehen, dass wir die auch wieder zu kriegen'.

    Vorerst freilich, tat Faschingsgilde-Chef Horst Bräuninger kund, soll der abgesetzte OB was Gescheites arbeiten: 'Wir versetzen ihn in die Stadtgärtnerei, da fehlen immer Leute für die Pflege der Grünanlagen'. Das Volk quittierte die Umschulung mit einem dreifach kräftigen 'Rottach dole!' Der Narrenschlachtruf erscholl auch, als Bräuninger das Regierungsprogramm bekannt gab: Erst mal müsse man sich um Erschließungsmaßnahmen kümmern, 'nachdem jetzt der Ober-Guru auf und davon ist' (was um die Zeit noch stimmte).

    Aber weil das närrische Regime ja am Aschermittwoch schon wieder vorbei ist, galt es auch zu ermitteln, wer die Geschicke der Stadt nach der Wahl am 3. März lenken wird. Dazu wurde das 'Cambodunum-Orakel' befragt, eine Art Glücksrad aus der Römerzeit. Dessen Antwort fiel nach dem ersten Dreh allerdings reichlich sibyllinisch aus, denn zu sehen war jeweils eine Gesichtshälfte von Ulrich Netzer (CSU) und Manfred Heeb (SPD). Weil aber im Rathaus nicht mit Doppelspitze gespielt wird, musste das Orakel nochmal ran, und da strahlte der Amtinhaber sein närrisches Volks ganz alleine an. Als Netzer, bevor der Frohsinn im Saale (der Schrannenhalle) fortgesetzt wurde, um ein Schlusswort gebeten wurde, meinte er: 'Auch wenn ich nichts mehr zu sagen habe, danke ich der Rottachgilde und fordere alle auf, am Samstag zum Gaudiwurm wieder in die Stadt zu kommen'. Zum Massenauflauf geriet der Sturm aufs Rathaus am gumpigen Donnerstag zwar nicht gerade. Gleichwohl hatten nicht nur die Mitglieder der Faschingsgilde ihren Spaß an dem Spektakel. Noch klammert sich Oberbürgermeister Dr. Ulrich Netzer verzweifelt an die Insignien der Macht. Aber es wird ihm nichts nützen, denn die närrischen Umstürzler setzen ihn kurzerhand ab und übergeben das Regiment ihren Tollitäten. Fotos: Erika Bachmann

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