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Nervtötendes Leben am künstlichen Filter

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Nervtötendes Leben am künstlichen Filter

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    Nervtötendes Leben am künstlichen Filter
    Nervtötendes Leben am künstlichen Filter Foto: boxler

    Von Andreas Filke| Marktoberdorf/Ostallgäu Jeder hat seinen eigenen Fernseher, andere hören Radio und wieder andere schlafen. Im Hintergrund sind Plätschergeräusche zu hören. Sie verbreiten eine fast heimelige Atmosphäre. Eigentlich ganz angenehm - und doch klagt der 81-Jährige: 'Am schlimmsten ist das Liegen.' Dreimal pro Woche zwischen vier und fünf Stunden sind die Regel. Der Marktoberdorfer ist Dialyse-Patient. In der Praxis im Gewerbegebiet West bei Geisenried ist er seit eineinhalb Jahren anzutreffen. Inzwischen regeln hochmoderne Apparate die Dialyse - im laienhaften Sprachgebrauch 'Blutwäsche'. Rudolf Hirschka kennt die Prozedur. Damals, als seine Nieren versagten, musste er nach Augsburg, ehe er die Dialyse zu Hause in Leuterschach mit Hilfe seiner Frau Brigitte vornehmen konnte.

    In Marktoberdorf wird vom 1. bis zum 4. Mai die deutsche Meisterschaft der Organtransplantierten und Dialysepatienten ausgetragen. Was das Warten auf ein Spenderorgan, das Angewiesensein auf die Apparatemedizin bedeutet, welche Probleme sich bei Transplantierten auftun, welche Überlegungen potenzielle Spender anstellen, will die Allgäuer Zeitung in einer kleinen Serie darstellen.

    Wasser belastet Körper

    Doch es sei nicht allein das Reinigen des Blutes. Es gehe bei der Dialyse auch darum, Wasser aus dem Körper zu ziehen, erklärt Dr. Anton Köberle, der mit drei weiteren Ärzten Dialysepraxen in Kaufbeuren und in Marktoberdorf betreibt. Weil die Nieren nicht arbeiten, bilde sich kein Urin, der sich bei gesunden in der Blase sammelt und dann abgeführt wird. Vielmehr verteile sich das Wasser im Körper. Es komme zur Bildung von Ödemen, das Wasser drücke auf Lunge und Herz. 'Zehn Liter waren es bei mir', schildert der Marktoberdorfer Patient, die mittels Punktion allein aus dem Lungenbereich abflossen. Insgesamt hatten sich 24 Kilogramm eingelagert: 'Die Leute haben mich hinterher gar nicht mehr erkannt.'

    Zu schnell dürfe das Wasser dem Körper nicht entzogen werden, weil das Organe und Kreislauf sehr belaste. So stieg Hirschka damals zwischendurch zur Kontrolle auf die Waage. Inzwischen messen individuell eingestellte Apparate den Wasserentzug 'auf 100 Gramm genau', sagt Köberle.

    Was gut schmeckt, birgt Gefahr

    Mit am gefährlichsten für eine Person, deren Nieren nicht mehr arbeiten, sei Kalium, eines von mehreren Blutsalze. Es sei zwar lebenswichtig für die muskuläre Tätigkeit, doch sei die Spanne der richtigen Konzentration sehr gering. Das Problem: 'Kalium ist in allem, was gut schmeckt: Schokolade, Bananen, Obst, Gemüse, Pilze.' Deshalb griffen Dialyse-Patienten oft zu einem Trick, weiß Hirschka: 'Kurz vor der Dialyse habe ich noch eine Tafel Schokolade gegessen.'

    Obst und Gemüse, selbst Wurst und Brot haben für die Patienten noch einen anderen Nachteil: Sie enthalten Wasser. 'Ein 100 Gramm schwerer Apfel muss als 100 Milliliter Wasser gerechnet werden', sagt Köberle. Vitamine führte Hirschka durch Nahrungsergänzungsmittel seinem Körper zu.

    Diese Sorgen kennt der 70-Jährige nicht mehr. Er erhielt vor gut 15 Jahren eine Spenderniere. 'Mit der Dialyse habe ich mich zu 40 Prozent wie ein Gesunder gefühlt, mit der Niere sind es 80.' Als er nach der Transplantation zum ersten Mal wieder Wasser auf natürlichem Weg ausscheiden konnte, 'war das ein richtiges Glücksgefühl.'

    Ein Leben lang Medikamente

    Die Lebensqualität habe sich gebessert. Gesund aber ist nicht. 'Transplantierte brauchen ein Leben lang Medikamente', erklärt Köberle. Außer bei einer Spende zwischen eineiigen Zwillingen laufe im Körper stets ein Prozess der Abstoßung, den Medikamente verzögerten. Wie lange das Organ hält, lasse sich nur schwer sagen.

    Auf jeden Fall anzuraten sei eine Transplantation bei Kindern, denn die Nieren steuerten auch den Hormonhaushalt mit und damit das Wachstum. Deshalb stünden sie sehr weit oben auf den Wartelisten, sagt Köberle. In Deutschland liege die durchschnittliche Wartezeit auf eine Niere bei fünfeinhalb Jahren.

    Schon, um diese zu verkürzen, wirbt Hirschka unermüdlich für Organspenden. Für ihn gibt es noch einen weiteren Grund: 'Man ist dann endlich wieder frei.'

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