Kempten (li). - In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brennen Synagogen in ganz Deutschland. SA-Männer zertrümmern die Schaufenster jüdischer Geschäfte, demolieren die Wohnungen jüdischer Bürger und misshandeln die Bewohner. In Kempten bleibt es zwar ruhig, bei den Juden lösen die Schrecken jener Nacht dennoch Bestürzung aus. Eine von ihnen ist Emmi Hauser, 16-jährige Tochter eines Kaufmanns. Ihr gelingt bald darauf die Flucht nach Chicago. Doch ihre Eltern bleiben zurück und werden ins Konzentrationslager deportiert. Die 84-Jährige erinnert sich jetzt an die dramatischen Wochen im Winter 1938/39. Das Kaufhaus Sax (heute Hypo-Vereinsbank) ist zwischen den Weltkriegen eines der führenden Mode- und Schuhhäuser in der Stadt. Doch nach der Machtübernahme der NSDAP erfährt das Kaufhaus und mit ihm Emmis Vater Oskar Hauser, der Mitinhaber ist, eine Reihe von Boykott-Maßnahmen. Vom 6. bis 19. April 1938 wird er in Schutzhaft genommen. Nach der Reichspogromnacht müssen die Familien Sax und Hauser ihr Geschäft schließen. 'Es war schwierig, ein Visum zu erhalten, egal wohin', beschreibt Emmi Hauser ihre Situation. Sie klammert sich an ihre Cousine Ilse Weil und deren Ehemann Heinz, die 1937 nach Chicago emigriert waren. Das Ehepaar hatte in München Medizin und Pathologie studiert und erhielt Assistentenstellen an der Universität von Chicago. Ihre Aufwandsentschädigung jedoch ist nur karg und reicht nichts aus, um für Flüchtlinge aus Deutschland bürgen zu können. Zuerst finden sie einen Bürgen für Fritz Hauser, Emmis zwei Jahre älteren Bruder. Am 17. Februar 1939 wagt er den Sprung über den großen Teich und am 18. Juli besteigt Emmi Hauser das Schiff in die USA. Es ist ein Abschied für immer. Auch Emmis Eltern beantragen die Ausreise in die USA und erhalten ein Visum. Durch ungeklärte Umstände rutschen sie aber auf der Emigrantenliste weit nach unten und verlieren so jede Möglichkeit auf eine Überfahrt. Am 31. März 1942 'verziehen' Hedwig und Oskar Leopold Hauser nach München - so der Nazi-Terminus für Deportation. Sie werden mit anderen Kemptener Juden nach Piaski in Polen deportiert, wo sie als verschollen gelten. Emmis Tante Selima Sax wird am 10. August 1942 nach Theresienstadt deportiert. Die damals 66-Jährige überlebt und kehrt nach dem Krieg kurz nach Kempten zurück, wo sie über die Schicksale weiterer Deportierter Auskünfte gibt. Anschließend emigriert sie mit ihrer Schwester Fannie nach New York, wo sie 1948 an einer Lungenentzündung stirbt.
Neubeginn in Chicago Als Emmi Hauser in Chicago an Land geht, lebt ihre Cousine mit Ehemann und Kind in einem kleinen Appartement. 'Trotz der armen Verhältnisse haben sie mich aufgenommen und mir geraten, auf die High School zu gehen', erinnert sie sich. 1940 absolviert ihre Cousine die Uni, erhält ihre Arztzulassung und ihr Mann bekommt Arbeit in Springfield am Illinois State Museum. Emmi schließt das Gymnasium ab, erhält ein Stipendium am Illinois College in Jacksonville und graduiert dort 1944. Doch auch wenn sie beruflich erfolgreich ist: Die Sorge um ihre Angehörigen in Deutschland bleibt. Erst nach dem Krieg erfährt sie vom Schicksal ihrer Eltern: 'Meine Tante Fanny gehörte zu einer jüdischen Gemeinde in Manhattan, deren Rabbi aus München stammt. Auf Umwegen erhielt er Listen mit KZ-Opfern, darunter auch meine Eltern.' Emmi Hauser heiratet Earl Fischl aus Pötschmühle im Sudetenland. Ihre alte Heimat sieht die rüstige Wahlamerikanerin noch einmal: 1968 reist sie mit Tochter Jacky nach Kempten. Heute lebt Emmi Fischl in Alameda in Kalifornien.