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Mit viel Gefühl bezahlen

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    Blinde werden wegen Euro-Umstellung speziell geschult Noch 22 Tage sind es bis zur Einführung des Euro. Welche Veränderungen der Währungswechsel mit sich bringt, darüber berichtet unsere Zeitung in einer Serie. Von Thilo Jörgl Marktoberdorf/Ostallgäu Millimeter für Millimeter bewegt sich der Zeigefinger von Heinz Böhm über den Rand einer Münze. 'Das ist eine 2-Euro-Münze, man erkennt sie an den Rillen', erklärt der 64-jährige Rentner. In den letzten Tagen der Ära der D-Mark ist diese Szene nicht deshalb ungewöhnlich, weil der Normalbürger die neue Währung bisher kaum zu Gesicht bekam. Nein, Tatsache ist, dass Böhm noch nie einen Euro gesehen, aber schon hunderte ertastet hat. Der Rentner aus Durach ist nämlich seit 30 Jahren blind. Er ertastet die Münzen fast genauso schnell, wie man als Sehender braucht, um den Wert der europäischen Einheitsmünze zu erkennen. Seit Sommer ist Böhm nun schon ehrenamtlich als Euro-Ausbilder für Blinde und Sehbehinderte im ganzen Ostallgäu für den Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund unterwegs. Die Marktoberdorferin Liselotte Paul ist heute seine dritte Schülerin. 90 Minuten nimmt sich Böhm Zeit, um der 81-Jährigen ­ die wegen einer Netzhauterkrankung nur noch fünf Prozent Sehkraft hat ­ die Angst vor der neuen Währung zu nehmen und sich an den Euro heranzutasten. Gerade für die 155 000 Blinden und etwa 500 000 sehbehinderten Deutschen wird der Alltag aufgrund der Währungsumstellung ab 1. Januar noch schwerer, wenn sie an der Ladentheke nicht mehr Mark und Pfennig, sondern Euro und Cent hinlegen müssen. Um mit Liselotte Paul ­ die nur nebulöse Formen erkennen kann ­ die ersten Tastversuche zu unternehmen, hat Böhm einen Euro-Münzensatz mitgebracht. Mehr als 40 000 dieser sogenannten 'Training token' hat die Europäische Zentralbank für Blinde in Deutschland zur Verfügung gestellt. 'Anhand von Größe, Gewicht und den verschiedenen Rillen kann man die Münzen unterscheiden', erklärt Heinz Böhm, der die neue Währung für blindenfreundlicher als die Deutsche Mark hält. Böhm rät der 81-Jährigen, sich ab 17. Dezember in einer Bank ein Münzsortiment zu holen, um bis Weihnachten 'spielend' den Umgang mit dem neuen Geld lernen zu können. 'Wenn sie nachts nicht schlafen können, dann könnten sie einen Rosenkranz nach den Kerben beten', scherzt Böhm.

    'Cash-Check' als Hilfsmittel Auch ein Bündel neuer Scheine hat er mitgebracht. Ihren Wert können Blinde anhand der Scheinlänge erkennen. Je länger der Papierschein, desto höher der Wert, heißt die Faust-, besser Tastregel. Als Hilfsmittel verteilt der Blindenbund einen sogenannte Cash-Check. Diese aufklappbare Scheckkarte können sie als Vergleichsmaßstab zur Ermittlung der Länge heranziehen. Mit den neuen Scheinen wird es die Rentnerin aber halten wie mit den alten. 'Ich bin nur mit 50-Mark-Scheinen beim Einkaufen, dann kann ich nichts verwechseln.' Außerdem haben die Marktoberdorfer Geschäftsleute noch nie betrogen, erinnert sich Paul: 'Die sind alle ehrlich zu mir.'Neugierig greift die Marktoberdorferin wieder zu einer Münze und versucht, den Wert zu ertasten. 'Ich werde das schon noch lernen', erklärt sie zuversichtlich und ihre Finger gleiten dabei über die Rillen, die den Sehenden am 1. Januar wahrscheinlich gar nicht auffallen werden.

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