Startseite
Icon Pfeil nach unten
Allgäu
Icon Pfeil nach unten

"Man lernt eine gewisse Gelassenheit"

Hergatz

"Man lernt eine gewisse Gelassenheit"

    • |
    • |
    "Man lernt eine gewisse Gelassenheit"
    "Man lernt eine gewisse Gelassenheit" Foto: beckmann

    Zu Fuß 2500 Kilometer in 95 Tagen, auf dem Rücken immer zwischen 15 und 19 Kilogramm und zwei Paar verschlissene Wanderstiefel: Das ist Mathias Millers grobe Bilanz nach gut drei Monaten Wandern auf dem Jakobsweg. Der 21-Jährige hat sich diesen Sommer allein auf den Weg von seinem Heimatort Hergatz bis ins nordwestspanische Santiago de Compostela gemacht.

    Nach seiner Lehre zum Zimmermann wollte Mathias raus, etwas Neues erleben. Religiöse Motive spielten bei der Wahl des Pilgerweges keine Rolle. Am 10. Mai lief er an seiner Haustür los, im Gepäck neben Kleidung, Gaskocher und Zelt auch seine Trompete. In der Schweiz übernachtete er im Zelt und bei Bauern in der Scheune, in Frankreich und Spanien meist in Pilgerherbergen, wo nachts der Geruch von ausgiebig genutzten Wanderschuhen, bei Jakobspilgern "Pilgermuff" genannt, durch die Schlafsäle waberte. Als er in einem kleinen südfranzösischen Dorf eines Tages keine Unterkunft fand, legte sich Mathias mit seiner Isomatte in die geöffnete Kirche.

    Angst, kein Bett für die Nacht zu finden, hatte er keine. "Man lernt unterwegs eine gewisse Gelassenheit. Wenn nach 30 Kilometern keine oder nur eine volle Herberge kommt, läuft man eben noch mal zehn oder auch 20 Kilometer", versichert Mathias.

    Im Schnitt lief er um die 30 Kilometer am Tag, es gab aber auch zwei Tage, an denen ihn seine Füße rund 50 Kilometer tragen mussten. Auf Dauer ginge das aber nicht, gibt er zu. Im französischen Le Puy drehte Mathias eineinhalb Zentimeter lange Spax in seine Wanderschuhe, im spanischen Pamplona waren die Köpfe dann eben und die Schuhsohlen hinüber, sodass für den Rest des Weges ein Paar neue Treter herhalten musste. Das alte Paar schleppte er trotzdem zurück ins Allgäu.

    Zufällig war der junge Wanderer Mitte Juli in Pamplona, sodass er sich die traditionelle Stierhatz durch die Gassen der Stadt ansehen konnte. "In der Zeit läuft in jeder noch so kleinen Bar im Fernsehen Stierhatz", berichtet er. Große Städte hat er auf seiner Tour ansonsten nach Möglichkeit gemieden. "Man gewöhnt sich an die Ruhe auf dem Weg, das stressfreie Leben, immer seinen Rhythmus gehen zu können," sagt Mathias, "die einzigen Fragen eines jeden Tages waren: Was esse ich heute und wo schlafe ich?" Außerdem habe er unterwegs jegliches Zeitgefühl verloren, Wochen bedeuteten nichts, erzählt er.

    Dank seiner Trompete wurde er während der Wanderung niemals einsam. Mathias spielt in der Musikkapelle Wohmbrechts Waldhorn und um seinen Ansatz nicht zu verlieren, nahm er eine wesentlich leichtere Piccolo-Trompete mit. "Ich kam ständig mit neuen Leuten ins Gespräch, wenn ich auf einem Dorfplatz saß und Trompete spielte", erinnert sich der 21-Jährige.

    In Santiago angekommen, sei er zuerst überwältigt gewesen. "Du weißt, du hast es geschafft", sagt er begeistert. Der Mann, der ihm seine Bestätigung der Pilgerreise überreichte, sei zu Tränen gerührt gewesen. "Nur wenige Pilger marschieren einen so weiten Weg an einem Stück", erklärt Mathias.

    Nach nur einer Nacht in Santiago machte er sich noch auf den dreitägigen Marsch ans Meer nach Finisterre, wo er einen alten keltischen Brauch vollzog: Er verbrannte am Strand seine T-Shirts sowie von jedem der selbst gestrickten Paar Socken seiner Mutter ein Exemplar, dann sprang er über das Feuer.

    Noch spannender als die lange Wanderschaft war seine Heimreise: Von Santiago gelangte Mathias über Madrid mit einem ihm bekannten Lkw-Fahrer ins französische Le Puy, von dort fuhr er mit dem Zug in die Provence, wo ihm ein Jakobspilger, den er auf dem Weg getroffen hatte, ein Fahrrad schenkte. Mit diesem fuhr er durch die Haute-Provence bis nach Genf, wo er sich in den Zug nach Rorschach setzte. So wie er am Anfang mit der Fähre von Lindau nach Rorschach gestartet war, wollte er rund drei Monate später - auch heimkehren: über den Bodensee.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden