Die "Vernichtung lebensunwerten Lebens" gehörte zum Wahn der nationalsozialistischen Ideologie. Zu dem "Euthanasie" genannten Massenmord gehörte auch der Tod von rund 2000 Patienten der früheren Filiale der Kreis- und Irrenanstalt Kaufbeuren in Irsee. Historische Filmaufnahmen, die in Zusammenhang mit dieser Einrichtung entstanden sind, präsentierte die Irseer Geschichtswerkstatt kürzlich der Öffentlichkeit. Nun sollen diese zu einem Film mit wissenschaftlicher Kommentierung verarbeitet werden.
Die Aufnahmen wurden bereits in den 1980er Jahren in Kaufbeuren gefunden und lagerten danach im Bundesarchiv Koblenz. Der Eggenthaler Psychiater und Autor Michael von Cranach stöberte die brüchigen Filmrollen auf und ließ davon Kopien erstellen. Eine davon führte Robert Domes, Autor und Mitglied der Geschichtswerkstatt, bei einer Veranstaltung in Irsee einem kleinen Publikum vor. Doch die Aufnahmen sind in ihrer jetzigen Form mit Vorsicht zu genießen, meint Domes: "Ziel war es, einen Propagandafilm über die Euthanasie zu drehen. Die Schwestern wurden aufgefordert, die schlimmsten Patienten auszusuchen."
1939 begann die NS-"Euthanasie" mit der "Aktion T4": "Asoziale, Fremdrassige oder geistig Behinderte" wurden als minderwertig und damit nicht lebenswert klassifiziert. Bis 1941 wurden deshalb Zehntausende von Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten ermordet. Doch es bildete sich Widerstand gegen diese Praxis.
Als der schließlich öffentlich vorgetragen wurde, brachen die Nazis die Aktion ab. Doch im Verborgenen wurden während der folgenden "wilden Euthanasie" weiterhin Menschen durch Injektionen, Unterernährung oder die in Irsee entwickelte Hungerkur umgebracht.
Farbe lässt auf Bedeutung schließen
Zudem war das Hitler-Regime bestrebt, für seine verbrecherische Politik im Volk Zustimmung zu erhalten - wie üblich durch Propaganda. So planten die Nazis einen Film, der die Euthanasie rechtfertigen sollte. Von Cranach, der als ehemaliger Leiter des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren viel für die Aufklärung über die Psychiatrie im Nationalsozialismus tat, mutmaßt, dass die Aufnahmen aus Irsee und Kaufbeuren Bestandteil dieses Filmes werden sollten. Die Irseer Aufnahmen zeigen etwa fröhliche Faschingsumzüge aus der Region - und das in Farbe. "Das zeigt, dass der Film kein lokaler werden sollte, denn Farbfilme waren damals selten", so Domes. Dazu gehören Bilder, die Bauern bei der Feldarbeit, grasende Kühe oder Naturaufnahmen zeigen - eben das idyllische Landleben. Zudem sind Patienten zu sehen, die nur leichte Behinderungen oder Störungen aufwiesen.
"Damit wollte man zeigen, dass man sich für behandelbare Patienten einsetzt", so von Cranach. Aber es wurden auch schwer kranke Patienten gezeigt: "Sie wurden entwürdigend aufgenommen. Damit sollte ihre Wertlosigkeit demonstriert werden."
Der Film kam nie zustande. Doch nun will Domes die Aufnahmen für ein neues Filmprojekt nutzen. Die historischen Bilder sollen in geeigneter Weise geschnitten und von von Cranach kommentiert werden. Dieser signalisierte schon Bereitschaft für das Vorhaben. Als Kooperationspartner biete sich zudem das Bildungswerk der Schwabenakademie an, die jetzt die Räume der ehemaligen "Anstalt" nutzt, so Leiter Dr. Stefan Raueiser.
"Diese bislang weitgehend unbekannten Aufnahmen aus der Anstalt dürften auch für eine breitere Öffentlichkeit von Interesse sein, da hinter einer scheinbaren Normalität in idyllischer Landschaft auch die grausame Realität des nationalsozialistischen Menschenbilds zu spüren ist", meint Christian Strobel, Sprecher der Geschichtswerkstatt.