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Künstler mit gespaltener Persönlichkeit

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Künstler mit gespaltener Persönlichkeit

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    Der Allgäuer Erwin Roth restauriert Kirchen und schafft moderne Kunst. Von Andrea Kümpfbeck Ausnang/Leutkirch Zwei Seelen wohnen da in seiner Brust: Das zeigen schon die beiden Visitenkarten von Erwin Roth, die er je nach Situation, je nach Gespächspartner aus der Tasche zieht. Die eine Karte ­ schlicht, farblos, mit einer Kirche verziert ­ weist ihn als Restaurator aus. Als einen Menschen, der Vergangenheit bewahrt. Der, vorwiegend im Westallgäu, Barock-Engel vor dem Verfall rettet, Deckenfresken ausbessert, Kirchen-Innenräume neu bemalt.

    Die zweite Karte ­ farbig, mit ästhetischen Frauen-Skulpturen ­ zeigt die andere Seite dieses Mannes: seine Seite als freischaffender Künstler, als Maler und Bildhauer, der mit bunten Knallfarben, mit allen Arten von Materialien, mit Edelstahl, Glas, Polyester, eine moderne Welt neu gestaltet, seine Phantasien auslebt. 'Ich brauche diesen Gegensatz', sagt der 46-Jährige ­ wenn er wochenlang an einem Barockbild gearbeitet hat, Spatel für Spatel millimetergenau die Verschmutzung abgetagen und mit feinsten Pinselstrichen Farbabblätterungen nachmalt hat. Denn bei seiner Arbeit als Restaurator ist Roth genau an die Vorgaben, an die Kunstwerke seiner Vorfahren, gebunden, die es zu erhalten gilt: 'Weil an der Kunst Geschichte ablesbar ist.'

    Und die Geschichte ist für Roth wichtig: Wieviel Kraft sie einem Menschen geben kann, spürt Erwin Roth täglich. Er hat sich, seiner Frau und den drei Kindern in unmittelbarer Nähe zu seinem Elternhaus in Ausnang auf Baden-Württembergischen Boden ­ nur wenige Meter von der Grenze zum bayerischen Allgäu entfernt ­ 1979 ein altes Haus gekauft. Stück für Stück hat er das Gebäude in gut 20 Jahren in den Urzustand zurückversetzt ­ und sich 'einen Traum erfüllt'. 'Und es gibt wahnsinnige Kraft zu wissen, was die Geschichte hier vorgelebt hat', sagt er.

    Diese Kraft braucht Roth für seinen anstrengenden Beruf. Nach langen Arbeitstagen auf den Gerüsten in den Kirchen wird er zuhause noch einmal kreativ: 'Ich mache meine freischaffende Kunst in der Zeit, die andere vor dem Fernseher verbringen', erzählt er mit einem Augenzwinkern. Doch für diese Freiheit, Empfindungen ohne jegliche Vorgaben in Skulpturen, in Stehlen, in Zeichnungen und Gemälden ausleben zu lönnen, dazu brauche er seine ganz konservative Basis als Restaurator. 'Da bin ich ein typischer Allgäuer'. Das merkt er vor allem dann, wenn er einen Tag lang in München Kultur pur genießt. 'Ein Tag reicht ­ dann brauche ich wieder meine Zurückgezogenheit', erzählt er.

    In der dörflichen Zurückgezogenheit Ausnangs hat sich schon zu Schulzeiten die Kreativität von Erwin Roth entwickelt. Damals, als ihm sein Vater mit sechs oder sieben Jahren einen alten Schleifstein überlassen hat, in den er dann mit verbogenen Nägeln Figuren ritzte. Heute findet er seine kreative Ruhe im angrenzenden Schuppen, seinem Atelier, und dem zur Ausstellungshalle ausgebauten Dachboden. 'Hier kann ich auch nachts zur Flex greifen ­ und keinen stört\'s', sagt Roth, dem schon 1994 der Kunstpreis der Stadt Kempten verliehen worden ist.

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