Es ist dieses "ganz komische" Geräusch, das sich im Kopf von Barbara Porschberger festgesetzt hat: das Knarren und Knarzen von Häusern in ansonsten vollkommener Stille. Seit knapp zwei Wochen spukt dieses Geräusch immer wieder durch ihre Gedanken.
Seit dem Tag, als in Japan die Erde bebte und der Tsunami hereinbrach. Seit dem Tag, der im Leben von Barbara Porschberger und ihrem Mann Christian alles auf den Kopf gestellt hat. Von einem Tag auf den anderen verließen sie ihr Haus in Yokohama ein Stück südlich von Tokio, das fast zwei Jahre lang ihr Zuhause war. Jetzt sind sie wieder zurück in Kempten. Wie lange, das wissen sie noch nicht genau. Als die Katastrophe ihren Lauf nahm, schlief der kleine Joshua, der knapp zweijährige Sohn der Porschbergers, in seinem Zimmer oben im Haus. Plötzlich fielen Gegenstände aus den Regalen, Schranktüren öffneten sich, das ganze Haus wackelte. "Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten", erinnert sich Barbara Porschberger. In Panik rief sie ihren Mann an, der von der Arbeit - der Wirtschaftsingenieur ist in Japan für die Firma Bosch im Einkauf tätig - nach Hause rannte. Sie packte das weinende Kind und lief auf die Straße hinaus. "Man musste sich dort hinsetzen", sagt die 31-Jährige. Das Schlimmste war für sie, "dass man das Gefühl hat, man ist nicht mehr sein eigener Herr".
Bange Stunden erlebte die Familie nach dem großen Erdbeben, denn im Zehn-Minuten-Takt seien "richtig kräftige" Nachbeben gekommen. "So schlimm war das zuvor noch nie", bekräftigt der 31-jährige Christian Porschberger. An Schlaf war in der folgenden Nacht nicht zu denken. Vielmehr informierte sich das Paar im Internet über die Geschehnisse. Erst später erfuhren sie von dem Tsunami und den Problemen im Atomkraftwerk Fukushima.
Im Zug Richtung Süden
Den Tag nach dem Erdbeben begannen die Porschbergers normal für einen Samstag: mit einkaufen. Und stellten schnell fest, dass nichts mehr normal war. Wasser, Reis, Brot und auch Toilettenpapier waren schon morgens ausverkauft. Wieder daheim, hörte das Paar die Nachrichten: "Das Atomkraftwerk hatte nur noch für acht Stunden Strom.
" Mit zwei kleinen Koffern setzte sich die Familie in den Zug in Richtung Süden nach Osaka, weg vom Reaktor. "Eigentlich haben wir uns dort sicher gefühlt", meint Christian Porschberger. Über ein verlängertes Wochenende in Osaka dachte die Familie nach - bis sich die Ereignisse überholten: "Als wir hörten, dass das Atomkraftwerk in die Luft fliegt, buchten wir die Flüge nach Hause." Drei Tage war die Familie unterwegs, bis sie in Kempten landete und bei Barbara Porschbergers Mutter Unterschlupf fand.
Wie geht es jetzt weiter? Die Firma Bosch hat es ihren Mitarbeitern freigestellt, ob und wann sie nach Japan zurückgehen. "Vermutlich werde ich nächste Woche fliegen", sagt der 31-jährige Christian Porschberger. Sofern die Situation am Reaktor noch kontrollierbar ist.
Der Schock sitzt tief
Seine Frau und der kleine Sohn werden vorerst nicht mitkommen. Zu tief sitzt der Schock bei beiden. Joshua, sagen die Eltern, sei immer noch von Alpträumen geplagt. Außerdem, macht seine Mutter klar: "Ich habe eine Verantwortung. Die Lage ist einfach zu unsicher und ich möchte meinem Kind in 20 Jahren nicht erklären müssen, dass es doch ein bisschen Strahlung abbekommen hat." Auf der anderen Seite, räumt Barbara Porschberger ein, habe sie ein schlechtes Gefühl, weil sie Freunde und Bekannte im Stich gelassen habe. Dieses Land und seine Menschen, die die Porschbergers lieben gelernt haben. Ein Land der Extreme mit seinen sehr heißen Sommern, seinen bitterkalten Wintern - und eben auch den Erdbeben.
Ob Barbara Porschberger es wiedersieht, weiß sie noch nicht. Und ihren Mann würde sie "am liebsten nicht gehen lassen". Aber sie versteht, dass er gehen will. Aus einem inneren Drang heraus: "Das Ausmaß des Tsunamis ist durch die Reaktor-Sache in den Hintergrund geraten. Dabei gibt es Tausende, die auf der Straße stehen und Hilfe brauchen." Für diese Menschen will er da sein. Irgendwie. Und er hofft, dass die Leute hier das Elend erkennen und spenden, "weil es notwendig ist". Auch in einem hoch technisierten Land wie Japan.
"Das war wie Achterbahn fahren. Und ich möchte so etwas nie mehr erleben."
Christian Porschberger über das Erdbeben