Es kommt selten vor, dass bei Sitzungen des Kemptener Bauausschusses die Besucherstühle nicht ausreichen. Am Dienstagabend war es jedoch soweit - denn der "Verwaltungsakt", der da auf Punkt acht der Tagesordnung angesetzt war, hatte es für viele in sich: Auf dem Tisch lag der Antrag für zehn neue Bordellappartements in der Hirnbeinstraße - was besorgte Anwohner wie Beschäftigte aus den Freudenhäusern gleichermaßen ins Rathaus trieb. Am Ende stand eine einstimmige Entscheidung, für die sich eine Zuhörerin an Ort und Stelle bei den Stadträten bedankte: In der ehemaligen Bäckerei neben der Kripo dürfen keine Bordellappartements eröffnen. Denn diese würden das Wohnen dort stören und seien daher unzulässig, so Baujuristin Dr.Franziska Renner.
Eine Ablehnung, die Kreise zieht. Denn drei weitere Bordelle kommen nun auf den Prüfstand: Haus Nr. 13 in der Hirnbeinstraße (gleich gegenüber der früheren Bäckerei), das Freudenhaus in der Jägerstraße 1 und das Bordell in der Mozartstraße 10. Erst jetzt hat die Stadt nach eigener Aussage entdeckt, dass bislang keine baurechtliche Genehmigung für die Bordelle vorlag. Ob die Häuser schließen müssen, ist nicht gesagt - in Betracht kommt auch Bestandsschutz.
Die Vorgeschichte: Schon seit vielen Jahren ist das älteste Gewerbe der Welt in der ältesten Stadt Deutschlands erlaubt. Denn Kempten hat mehr als 50000 Einwohner und darf damit die Prostitution nicht ganz verbieten. Zuständig für die Sperrgebiete ist die Regierung von Schwaben - die aktuellen Rotlichtbezirke wurden schon in den 80er Jahren festgelegt.
Etwa 50 bis 60 Prostituierte arbeiten laut Polizei in Kempten. Ein Teil von ihnen in Privatwohnungen, der andere in den zehn Bordellen der Stadt. Die genauen Umsätze sind unbekannt - vorsichtige Schätzungen gehen jedoch davon aus, dass Monat für Monat in Kempten eine gute halbe Million Euro für sexuelle Dienstleistungen ausgegeben wird.
Wie die Stadt mit den Rotlichtbezirken umgeht: Wenngleich in mehreren Gebieten Prostitution erlaubt ist, heißt das noch lange nicht, dass dort auch ein Bordell eröffnet werden darf. Speziell in den vergangenen Jahren, so bestätigt Baureferentin Monika Beltinger, wurden mehrere Bebauungspläne aufgestellt, die Bordelle selbst im Rotlichtbezirk verbieten. Prostitution ist dann nur in Privatwohnungen möglich, in denen die Prostituierten auch tatsächlich längerfristig wohnen.
Beispiele: Rottachstraße und Auf der Breite (Nähe Polizei) sowie Ulmer Straße. "Damit wollen wir aber die Sperrbezirksverordnung nicht unterwandern", so Beltinger. In anderen Bereichen seien Bordelle dagegen zulässig - etwa in der Duracher Straße. Einzeln geprüft werden müssen noch Bereiche ohne Bebauungsplan wie in der Hirnbeinstraße. Dort kommt es darauf an, ob Anwohner gestört werden.
Warum wird erst jetzt geprüft: Finanzamt, Polizei und andere Behörden kontrollieren in den Bordellen. Betreiber und Frauen zahlen Steuern und treten (wie im Fall Hirnbeinstraße 13) durch Schilder in der Erscheinung.
Warum entdeckt die Stadt erst jetzt, dass die Häuser rund um die Kripo ohne baurechtliche Genehmigung arbeiten? "Wir haben diese Nutzungen bislang einfach noch nicht überprüft - das werden wir nun machen", ist die einzige Aussage, die dazu von Baureferentin Beltinger zu erhalten ist. Deutliche Worte findet dagegen Bordellbetreiber Peter Vogler aus der Duracher Straße: "Man hat bislang lieber die Augen verschlossen, um sich nicht weitere gerichtliche Probleme und langwierige Prozesse einzuhandeln", so seine Einschätzung.
Apropos Gericht: Sollte der nun abgeblitzte Antragsteller aus dem Raum Augsburg wegen der Bordellwohnungen in der Hirnbeinstraße 14 klagen, bereitet Beltinger das keine Sorgen. Man sei sich sicher, mit der Ablehnung richtig zu liegen.
Streitfall Hirnbeinstraße: In Haus 13 gibt es ein Bordell, das bisher keine Genehmigung hat. In der ehemaligen Bäckerei gegenüber (Haus 14) darf laut Beschluss des Bauausschusses erst gar keines entstehen. Foto: Martina Diemand