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Kafka und der Dicke

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Kafka und der Dicke

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    Lindenberg - 'Du wirst bald wissen, was Einsamkeit ist', diese unheilschwangere Prophezeiung schwebt über der Geschichte von Hans-Jörg Höbels zweiten Film 'Die Verwandlung'. Die Verwandlung eines smarten Art-Directors in einen dickleibigen Außenseiter begeisterte das große Premierenpublikum im Lindenberger 'Hirsch'. Dessen Gastraum hatte der Wirt indes selbst in einen heimeligen Kinoraum verwandelt. Alles läuft bestens im Leben des Yuppies Felix (dargestellt von Björn Möhl): Er hat eine hübsche Frau, viele Freunde und gerade hat ihn sein Chef befördert. Den beruflichen Aufstieg feiert er mit einer Party, zu der sich auch ein uneingeladener Gast einfindet. Der dicke Mann (Stefan Höbel) wird zum Gespött der smarten Party-Gäste. Schließlich wird er von Gastgeber Felix an die Luft gesetzt. Der Dicke verabschiedet sich mit einem folgenschweren Fluch: Felix werde bald selbst erfahren, was Einsamkeit bedeute. Was in der Folge geschieht, ist eine moderne Version von Frank Kafkas 'Die Verwandlung', dessen Titelheld Gregor Samsa eines Morgens als großer Käfer erwacht. Höbels Filmheld Felix ergeht es nicht ganz so schlimm: Am Morgen nach der Party ist er nicht mehr der sportliche Adonis, sondern ebenso dick, wie der verspottete Party-Gast, den er tags zuvor vor die Tür gesetzt hat.

    Fortan erfährt er, was es heißt, eine Außenseiter-Existenz zu führen. Er geht nicht mehr aus, seine Marie (Julia Huber) verlässt ihn, seine Freunde gehen ihm aus dem Weg, er verliert seinen Job und auf der Straße begegnet er spöttischen Blicken. Ein Happy-End bleibt aus: Dem dicken Felix bleibt nichts anderes übrig, als sich mit seinem Wanst und seiner gesellschaftlichen Randrolle abzufinden. 'Ursprünglich ist der Film als Teil eines Projekttages an der Augsburger Berufsoberschule zum Thema Ess-Störungen entstanden', so Höbel, Regisseur und Produzent. So wurden die meisten Außenaufnahmen in Augsburg gedreht. Besonders eindrucksvoll: Als Björn Möhl alias der dicke Felix mit ausgepolstertem Mantel und zwei prallen Einkaufstaschen durch die Augsburger Innenstadt trottet, folgt ihm die Kamera aus großer Entfernung und fängt dabei die realen Reaktionen der Passanten auf die menschliche Fleischmasse Felix ein. So mischt sich in die Fiktion ein Hauch Wirklichkeit und der Film erhält dokumentarischen Charakter. Das, was der Zuschauer da zu sehen bekommt, ist unangenehm. Denn die unfreiwilligen Filmstatisten aus der Realität machen keinerlei Hehl aus ihrer Verachtung für den korpulenten Mitbürger. Höbels zweiter Film ist weniger actiongeladen, als sein Erstling und läuft eher in Richtung ernste Sozialstudie mit surrealem Einschlag. 'Die Verwandlung' ist auch technisch ausgereifter, vor allem was Bildschnitt und Ton angeht. Der Film macht jedenfalls neugierig darauf, was Höbel nächstes Mal präsentieren wird, wenn der Wirt wieder den Gastraum in einen kleinen Kinosaal verwandelt und ein Hauch von Hollywood in Lindenberg zu spüren ist. Jörg Lenuweit

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