Die Bühne als Behandlungszimmer Von Freddy Schissler Martinszell Das Haus mit farbigem Anstrich steht auf einer kleinen Anhöhe am Ende der Straße. Hier in Martinszell scheint an diesem Tag die Sonne, und der Blick ist frei auf die Berge des Oberallgäus. Ein Ort, man muss es sagen, auch wenn es ein wenig kitschig klingt: der dazu einlädt, die Seele baumeln zu lassen. 'Wir haben lange nach etwas Passendem gesucht', sagt Johanna Hartmann und meint damit sich und ihren Mann Andreas. In Martinszell sind sie fündig geworden. Dort eröffnen die beiden am 10. Februar eine Werkstätte für Theater und Theater-Therapie.
Nanu, Theater-Therapie? Es gibt Leute, das wissen auch die Hartmanns, die damit nicht viel anfangen können. Und mancher wird sich mit skeptischem Blick am Hinterkopf kratzen und womöglich auf einen Hokuspokus tippen. Johanna Hartmann schmunzelt, wenn sie mit dieser Vermutung konfrontiert wird und hält dagegen: 'Die Bühne ist ein magischer Ort, der Körper, Geist und Seele heilt.'
In Freiburg ließ sich die Allgäuerin an einer Fachhochschule zur künstlerischen Therapeutin ausbilden, in Kempten leitete sie lange das Theaterensemble 'Allgäu Pfeffer', in Martinszell inszenierte sie zuletzt das Stück 'Der Kleine Hobbit', das über 3000 Besucher sahen. Regisseurin nennt sich Johanna Hartmann, Theaterpädagogin, Schauspielerin, Ensembletrainerin, und sie ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Theatertherapie. Die Theaterbühne als Behandlungszimmer für Menschen, die über Probleme klagen? Wie man sich das vorstellen muss? 'Mithilfe des Theaterspielens', sagt sie, 'versuche ich die Leute in Gedankenwelten zu führen, die vorhanden sind, in die sie aber zuvor nicht bewusst vorgedrungen sind.'
Das klingt zunächst sehr theoretisch. Die Praxis kann so aussehen: Um an schwierige Jugendliche aus sozialen Brennpunkten heranzukommen, dient die Bühne. Hier können sie zunächst Aggressionen zum Ausdruck bringen. Hier kann man durch Rollenspiele mit ihnen ins Gespräch kommen und möglicherweise neue Umgangsformen testen.
Ein anderes Beispiel: Ein Geschäftsmann hat Schwierigkeiten mit einem Kunden, der sich weigert, zu zahlen. Alle Versuche des Geschäftsmannes, gütlich an sein Geld zu kommen, scheitern. Es wird zu einer Gerichtsverhandlung kommen, was den Geschäftsmann belastet. Er schläft schlecht und fürchtet die Konfrontation mit dem Kunden auf dieser Ebene. Die Theatertherapie kann laut Johanna Hartmann helfen: Hartmanns Theatergruppe, in der der Geschäftsmann Mitglied ist, spielt auf ihren Vorschlag hin die Szene vor Gericht nach - in drei Varianten. Allerdings: Der Geschäftsmann soll nicht mitspielen, sondern von außen zuschauen. Er gibt lediglich Anweisungen, was der Darsteller, der den Geschäftsmann spielt, jeweils zu tun hat. 'Plötzlich sieht man, welches Verhalten das beste ist', sagt Johanna Hartmann. Dem Geschäftsmann, ist sich die Theatertherapeutin sicher, konnte somit geholfen werden. 'Er geht nun selbstsicherer in die Gerichtsverhandlung'. In den letzten 40 Jahren ist die Drama- und Theatertherapie entwickelt worden - vor allem in den USA, in England und den Niederlanden. Die Anwendungsgebiete sind vielfältig: Suchtkranken soll geholfen werden, Leuten mit Persönlichkeitsstörungen oder Randgruppen wie Häftlingen. Es gibt noch nicht viele Therapeuten hierzulande, vielleicht 20. Eine von ihnen ist Johanna Hartmann und sie ist wie auch ihre Kollegen davon überzeugt, dass die Theatertherapie in Verbindung mit moderner Psycho- oder Sozialtherapie bemerkenswerte Erfolge erzielen kann.
Täter- und Opferrollen
In ein paar Wochen wird sie den Kurs 'Die kleine Meerjungfrau' starten. Bezug nehmend auf das Märchen von H. C. Andersen will sie neben der Erarbeitung eines bühnenreifen Stücks auch Täter- und Opferrollen herausarbeiten, Mitgefühl für den anderen wecken oder Begriffe wie Liebe und Eifersucht thematisieren.
'In der Theater-Therapie kommt es aufs Handeln an, nicht so sehr aufs Sprechen', sagt Johanna Hartmann. Das heißt nichts anderes (im Gegensatz zur Pädagogik), als dass durch spielerische Formen Gefühle und neue Gedanken freigesetzt werden - und so nach einer möglichen psychischen Blockade wieder ein sinnvolles Handeln möglich ist. Wie sagt Johanna Hartmann: 'Die Bühne kann ein magischer Ort sein, der Körper, Geist und Seele heilt'.
iEröffnung der Werkstätte für Theater und Therapie am 10. Februar, ab 11 Uhr, mit umfangreichem Programm. Infos unter Telefon 0 83 79/20 63 70 und im Internet unter www.jahartmann.de