Von Lisa Schweiger|Kaufbeuren/FriesenriedIn der Aula habe ich auf der Digitaluhr, die den Countdown bis zum Abitur anzeigt, einer teuflischen Acht in die Augen gesehen. Acht Tage noch. Nun hat Leugnen keinen Zweck mehr. Angst bricht endgültig aus. Besorgt blicken die Kursleiter auf die Uhr, panisch die Abiturienten.
Es ist interessant zu beobachten, wie unterschiedlich meine Mitschüler auf den Druck reagieren. Es gibt welche, die sich am äußersten Rand der Nervosität bewegen und sehr viel Kaffee trinken. Eine Kombination, die seltsamerweise häufig auftritt. Es gibt andere, die wegen der überwältigenden Menge an Ungelerntem zynisch geworden sind und versuchen, das Nichtwissen mit Humor zu kompensieren. Es gibt diejenigen, die faszinierend gut verdrängen können, und dann noch solche, die als Leistungskurse Latein und Deutsch haben und zurecht sorglos bleiben. Ich gehöre als Geschichts-LK-ler eindeutig zu den Zynikern, allerdings mit einer Vorliebe für Kaffee. Wir alle, ob Verdrängungsmeister oder Hypernervöse, müssen in acht Tagen zur ersten Prüfung antreten.
Es gäbe noch unglaublich viel zu lernen, aber die Stunden verrinnen wie Sand zwischen den Fingern. Vor allem, weil mein Gehirn nur eine gewisse Menge an Information aufnehmen kann. Letzte Woche habe ich den Fehler begangen und zum ersten Mal eine Wahrscheinlichkeitsrechung versucht. Die Betonung liegt auf 'versucht'. Meine Tante sagt stets: Mut zur Lücke! Inzwischen ist allerdings die Lücke größer als der Mut. Die Angst regiert und ich stürze mich in den Stoff: Heute Nachmittag habe ich 'Wilhelm Tells' Drängen nachgegeben. Im Gegenzug fordert 'Nathan der Weise' jetzt Aufmerksamkeit. Diese Reclam-Hefte benehmen sich wie kleine Kinder. Später war zwischen zwei Matheaufgaben Zeit für die deutsche Nachkriegsgeschichte. Schon allein die wäre Grund genug, im Informationsstrudel zu ertrinken. Vielleicht sollte ich die Vergeblichkeit meiner Lernarbeit einsehen und es einfach lassen. Diese Idee hat mich eine ganze Weile verfolgt. Heute Morgen traf mich in der Aula der Anblick der teuflischen Zahl. Acht Tage! Nein, ich lerne lieber, so schnell, so viel ich kann!