Startseite
Icon Pfeil nach unten
Allgäu
Icon Pfeil nach unten

Instrument mit magischer und erotisierender Wirkung

Allgäu

Instrument mit magischer und erotisierender Wirkung

    • |
    • |

    Von Markus Noichl |KemptenMaultrommel - so derb kann nur ein Ur-Volksinstrument heißen. Alfred Hüttlinger aus Bad Oberdorf bei Hindelang entlockt dem schnarrenden Zünglein überraschende Klänge, ja erzählt geradezu Geschichten darauf. Und hat außerdem eine Sammlung von 'Brummeisen' aus aller Welt, von Borneo bis Sibirien.

    Vor 35 Jahren begann die Reise, zunächst zusammen mit Hermann Kracker und Michael Bredl im 'Oberallgäuer Maultrommel-Trio'. Man war auf sich allein gestellt, Lehrer gab es damals weit und breit nicht. Und so forschte und experimentierte sich der Steinmetz Hüttlinger selbst in die Geheimnisse dieses Instrumentes hinein.

    Die Ursprünge der Maultrommel reichen bis in die Steinzeit zurück. Irgendwann kam ein Jäger auf die Idee, seinen Bogen an Zähne und Wangenknochen zu halten und den Mund- und Rachenraum als Resonanzkörper für die schwingende Sehne zu benutzen. Einen kleinen, zehn Zentimeter langen Geweihbogen, 35000 Jahre alt, fand man im Geißenklösterle, einer Höhle der Schwäbischen Alb, neben Flöten aus Schwanenknochen. Die verschiedenen Obertöne eines Grundtons, die der Maultrommler moduliert, benutzt übrigens jeder Mensch beim Sprechen, ohne dass ihm das bewusst ist.

    Auch heute noch gibt es Kulturen, in denen sich Schamanen mit der Maultrommel in Trance versetzen. Ganz neue Anregungen bekam Hüttlinger, als er zum ersten Mal einen Maultrommel-Virtuosen aus Jakutien hörte. Diese Region in Ostsibirien, der kälteste Fleck der Erde, hat bis heute eine ungebrochene schamanische Tradition, und das hört man dem mystischen Spiel mit der dortigen Maultrommel auch an. Bei einem internationalen Maultrommel-Kongress vor zehn Jahren hörte Hüttlinger fasziniert, was die Jakuten aus ihren Instrumenten herausholen. Seitdem experimentiert er, diesen wilden und ursprünglichen Charakter auch in unserer Musik wieder aufleben zu lassen.

    Ständchen für die Liebste

    Hierzulande war die Maultrommel zeitweise sogar verboten. In früheren Zeiten war dieses Instrument der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit unheimlich. Magische Geisterbeschwörung wurde ihr zugetraut und erotisierende Wirkung nachgesagt. Tatsächlich war es durchaus üblich, dass Burschen ihrer Liebsten unter dem Fenster ein Maultrommel-Ständchen spielten. Sogar harmloses Tanzvergnügen in der eigenen Stube, zu dem mangels anderer, teurer Instrumente auf der 'Maultrumpe getrumpt' wurde, war verboten. Es gibt Gerichtsprotokolle, dass Menschen wegen solcher 'Delikte' eingesperrt wurden.

    Darum ist es nicht verwunderlich, dass die zwei alten Allgäuer Maultrommeln, die in Bauernhäusern in Hindelang und Sonthofen entdeckt wurden, in einem geheimen Fach hinter der Holz-Vertäferung versteckt waren. Als 'musica irregularis' wurde herablassend bezeichnet, was das Volk auf Maultrommeln, Dudelsäcken, Trommeln, Nonnentrompeten und anderen archaischen Instrumenten produzierte.

    Doch dann machte die Maultrommel doch noch Karriere und wurde in der klassischen Musik salonfähig: Johan Georg Albrechtsberger (1736 bis 1809), ein Lehrer Beethovens, schrieb vier Konzerte für Maultrommel, Mandora (tiefe Mandoline) und Kammerorchester, von denen Hüttlinger eines auch schon aufführte.

    Auf den Maultrommel-Kongressen (zuletzt war Hüttlinger 2006 in Amsterdam) erlebt er fasziniert, dass das gleiche Instrument auf viele verschiedene Arten klingen kann. Meckernd und fast ordinär in amerikanischer Hillibillie-Musik. Filigran und seidig sirrend auf der vietnamesischen Maultrommel, der Dan Moi. In Südafrika dirigieren Schäfer ihre Herden mit Hilfe der Maultrommel. Und eine ganz andere Note als die Metall-Maultrommeln haben asiatische Instrumente, die aus Bambus hergestellt sind.

    Dass die Maultrommel bis heute eine gewisse Magie ausstrahlt, in uns sozusagen den Steinzeitjäger wachkitzelt, beobachtet Hüttlinger immer wieder.

    Da kann es auf Musikantentreffen im Wirtshaus noch so turbulent hergehen - 'wenn ich auf der Maultrommel spiele, werden sie alle plötzlich ruhig und spitzen die Ohren.'

    Besonders freut sich Hüttlinger, wenn er sein Wissen und seine Erfahrung weitergeben kann. An seine Söhne Fredi und Martin, mit denen er auch zusammen auf zwei und drei Maultrommeln spielt. Und in Hinterstein hat sich eine Gruppe von Buben gefunden, die begeistert üben und auf der Maultrommel schon Erstaunliches können.

    Früher spielte er in Tanzband

    Die Maultrommel ist aber nur eine Facette von Hüttlingers musikalischer Persönlichkeit. Er spielt auch Zither und ihre Varianten Scherrzither und Raffele. Und die Volksmusikgruppe Hüttlinger-Milz muss man im Allgäu kaum vorstellen. Dass der 65-Jährige zu Elvis-Zeiten auch Saxofon in einer Tanzband spielte, ist allerdings weniger bekannt und dürfte manchen überraschen, der ihn nur mit Hemd und gestrickter Weste kennt.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden