Angeklagter will Stiefbruder in Notwehr erschossen haben Kempten (ves).Überraschende Wende im Mordprozess gegen einen 56-jährigen Türken, der laut Staatsanwaltschaft seinen Stiefbruder erschossen hat (wir berichteten): Der 56-Jährige hat sein Handeln der Polizei gegenüber als Notwehr geschildert: 'Ich habe gedacht, er bringt mich um.'
Laut Staatsanwaltschaft hat der 56-Jährige seinen damals 34-jährigen Stiefbruder im März vergangenen Jahres an dessen Arbeitsstelle in einer Schreinerei in Germaringen (Ostallgäu) getötet. Bis jetzt machte der Angeklagte vor Gericht keine Aussagen. Gestern wurden jedoch die Polizisten, die den Angeklagten verhört hatten, als Zeugen gehört. So wurde erstmals der Tathergang nach Aussage des Angeklagten bekannt: Der 56-Jährige hatte seinen Stiefbruder in der Schreinerei aufgesucht. Dann seien beide in einen Raum gegangen, wo sie alleine waren. Dort habe der 34-Jährige dann eine Pistole aus der Hosentasche gezogen und in der rechten Hand gehalten. 'Ich habe mich verteidigt', habe der Angeklagte bei der Vernehmung gesagt. Es sei zu einer Rangelei gekommen, während der sich ein Schuss gelöst habe. Dann sei das Opfer in die Knie gegangen, habe den 56-Jährigen an den Beinen gefasst und versucht, ihn umzuwerfen. Dabei seien wieder Schüsse gefallen.
Diese Aussage wurde vom Gutachter für Waffentechnik zwar nicht widerlegt, aber auch nicht gestützt: 'Die Abfolge der Schüsse spricht nicht für große Drehungen, wie bei einer Rangelei.' Ob der später Getötete die Waffe in einer Hosentasche getragen habe, sei nicht nachzuweisen. Sicher sei nur, darin war er sich mit dem rechtsmedizinischen Gutachter einig, dass das Opfer von sechs Schüssen getroffen worden ist: zwei im Kopf und vier im Rumpf. Wenig Klärung und viele offene Fragen brachten also die bisherigen Anhörungen der Gutachter und Zeugen. Während einige bezeugten, die Waffe habe dem später Getöteten gehört, sagte dessen deutsche Freundin aus, die Pistole habe dem Angelagten gehört. Sie wurde bis heute nicht gefunden.
Zumindest Einblick in die Mentalität gab Gutachter Dr. Urhan Narlioglu: Das Opfer habe wichtige Regeln missachtet. Er habe eine Freundin gehabt, obwohl er verheiratet war. Er habe behauptet, der Stiefbruder habe diese Ehefrau geschwängert. Und der 34-Jährige habe nicht nur die eigene Frau und Freundin geschlagen, sondern auch die gebrechliche Ehefrau des Stiefbruders für einen ehrbaren Mann aus Ostanatolien sei dieses Verhalten von einem Bruder 'unerträglich'.
Der Prozess wird fortgesetzt.