Startseite
Icon Pfeil nach unten
Allgäu
Icon Pfeil nach unten

Ich habe nichts bemerkt

Allgäu

Ich habe nichts bemerkt

    • |
    • |

    Marktoberdorf/Kaufbeuren (mab/ek). - Drogensucht ist nicht nur ein Problem großer Metropolen, sondern auch im Ostallgäu. Das wird in Gesprächen mit der Marktoberdorfer Polizei klar, die jedes Jahr auch Statistiken dazu vorstellt. 'Wir befinden uns insbesondere in der Stadt Marktoberdorf in keiner Oase der Glückseeligkeit', sagt Polizei-Chef Gerhard Kreis. Im Jahr 2000 beispielsweise habe es in Marktoberdorf zwei Rauschgift-Tote, einen 17-Jährigen und einen über 30 Jahre alten, gegeben. Hinter den nackten Zahlen stecken Schicksale. Zwei Mütter, die in der Suchtangehörigengruppe am Bezirkskrankenhaus (BKH) Kaufbeuren viel Trost und Hilfe fanden, berichten von ihren Erfahrungen mit ihren drogenabhängigen Söhnen. 'Bei mir war es so, dass eines Tages die Polizei vor der Tür stand', erinnert sich eine der beiden Mütter. Ihr Sohn war 1999 in Nordrhein-Westfalen mit Rauschgift 'erwischt' worden. 'Vorher habe ich nie irgendetwas bemerkt.' Wenn der Sohn mit roten Augen aufkreuzte, was immer auch ein Hinweis zum Beispiel für Haschisch-Konsum sein kann, sagte er, er habe eine Bindehautentzündung. 'Ich war dann zunächst sehr zornig', schildert die Frau. Sie habe eine intensive Beziehung zu ihrem Kind gehabt und konnte nicht verstehen, warum der damals 20-Jährige Drogen nimmt. Begonnen hatte er mit Cannabis, später schluckte er Aufputschmittel, also Amphetamine. Nach Gesprächen mit einem auf Sucht spezialisierten Oberarzt vom BKH habe er eine Kurzzeittherapie absolviert. Ein Kennzeichen der Suchterkrankung sind immer wiederkehrende Rückfälle und der junge Mann wurde trotz allem heroinabhängig. 'Aber er kam wieder auf die Füße und machte eine sechs Monate dauernde Langzeittherapie.' Er ging dann mit seinem Bruder aus beruflichen Gründen nach Frankfurt. 'Dort hatte er einen guten Job und war clean.' Weihnachten vergangenen Jahres, kurz vor der Heimreise zur Familie ins Allgäu, geriet er wohl wieder in Versuchung, die dieses Mal tödlich endete. Als er aufgefunden wurde, steckte die Spritze noch in seinem Arm. 'Er hatte sich nicht alles injiziert. Mein Sohn starb mit 23 Jahren offenbar unbeabsichtigt an einer Überdosis', so die Mutter, die immer noch sichtlich am Tod ihres Kindes leidet.

    Antriebslos und Aggressiv Auch die andere Mutter wurde von der Drogensucht ihres Sohnes überrascht. 'Man denkt: Mein Kind macht soetwas nicht.' Bis der Vater eines anderen Betroffenen aus dem Bekanntenkreis sie anrief und aufklärte. 'Mich traf es wie der Blitz', schildert sie. Und dabei habe sie selbst ihr Kind bereits frühzeitig - im Alter von 14 Jahren - über die Gefahren von Rauschgift intensiv informiert. Die Antworten des zur Rede gestellten Sohnes waren: 'Cannabis macht doch gar nichts' und 'Ihr trinkt ja auch Rotwein'. Der damals 16-Jährige sei dann immer antriebsloser geworden, er vernachlässigte die Schule, wurde verbal aggressiv. 'Ich war völlig fertig', berichtet die Mutter. Später habe der Sohn unter anderem noch Extacy genommen. Schließlich fand sie Gleichgesinnte und viel Beratung in der Suchtangehörigengruppe, die sich an jedem letzten Dienstag im Bezirkskrankenhaus trifft. 'Mir wurde geraten, Ruhe zu bewahren, geduldig, aber auch konsequent zu sein.' Wenn der Sohn beispielsweise das Auto haben wollte, sagte sie nein, mit dem Hinweis, er müsse sich zwischen Auto und Drogen entscheiden. Mittlerweile geht es dem jungen Mann besser, er hat inzwischen Abitur gemacht.

    Es braucht Geduld 'Angehörige müssen im Umgang mit Süchtigen geschult werden', so die Diplom-Pädagogin Birgit Weckermann, die mit den Krankenpflegekräften Gabi Streidl und Markus Hieber die Angehörigengruppe fachlich betreut. Letztlich ist es so, dass der Drogenkranke selbst mit Überzeugung dem Rauschgift entsagen muss. Das können nicht die Eltern für ihn tun. Geduld sei nötig, da meist ein einziger Drogenentzug nicht ausreiche, um dauerhaft 'clean' zu bleiben. Im Unterschied zu vielen Drogenberatungsstellen, die Eltern empfehlen, den Kontakt zu ihren Kindern völlig abzubrechen, will die Angehörigengruppe den Eltern vermitteln, wie sie Kontakt zu ihren Kindern halten können und den Gesundungsprozess anstoßen und fördern können. i Die Angehörigengruppe trifft sich jeden letzten Dienstag im Monat im BKH. Wer vorher ein Einzelgespräch wünscht, kann sich von 8 bis 14 Uhr unter 08341/721613 an Gabi Streidl wenden.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden