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Historische Fotos animieren zum Schreiben

Kempten

Historische Fotos animieren zum Schreiben

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    Historische Fotos animieren zum Schreiben
    Historische Fotos animieren zum Schreiben Foto: martina diemand

    Eine junge Frau kauert in sichtlich unbequemer Lage hinter einem großen Stein. Den Fotoapparat gezückt und auf die dahinterliegende Wiese gerichtet. "Die Fotografin schussbereit und schwer verschanzt zur Murmeltieraufnahme" steht unter dem 1937 aufgenommenen Foto. Es zeigt Erika Groth-Schmachtenberger und ist eines der etwa 160 Fotos der in Freising geborenen Fotografin, die das Alpinmuseum seit Anfang März unter dem Titel "BergLeben²" präsentieren wird.

    Schon vor Wochen, als noch nicht alle Stellwände bestückt waren, besuchten vier Frauen die Schau, setzten sich an einen Tisch und ließen sich von den Fotos zu weiteren künstlerischen Produkten inspirieren. Genauer gesagt für literarische Kunstwerke. Vor ihnen einige Kopien der Bilder von Groth-Schmachtenberger aus den 1930er bis 1950er Jahren, die noch nicht in der ersten "BergLeben"-Schau zu sehen waren. Johanna Spreitler, Antonia Baumann, Bernadette Mayr und Dr. Ursula Kouba haben sich zum Ziel gesetzt, die Geschichten hinter den Geschichten, die die Fotos erzählen, auf Papier zu bannen - in Mundart oder auf hochdeutsch. Die fünfte Frau im Bunde, Erika Lindner, ist an diesem Tag nicht da.

    Murmeltiere fotografiert

    Schon im letzten Jahr traten die Frauen der Kemptener Schreibwerkstatt mit selbst verfassten Texten zu den Fotografien vor ein Publikum. Meist sind es persönliche Bezüge, eigene oder erzählte Erinnerungen und Gegenstände auf den Fotos, die den Schreibprozess in Gang setzen. So erinnern "Schreibärmele" und Schürzen, welche die Kinder tragen, Bernadette Mayr an die eigene ärmliche Jugend.

    Der "Kristallisationspunkt liegt in der eigenen Biografie", so beschreibt Johanna Spreitler die Methode, wie sie ans kreative Schreiben herangeht, ob der Anlass nun Musik, eine Landschaft, ein Buch - oder eben ein Foto ist. Sie selbst wurde sofort von dem Bild der Murmeltierfotografin eingenommen, weil es sie an ihre Tante erinnert, die in dieser Zeit ebenfalls als Fotografin aktiv war. "Das ist sozusagen ein family joke, wie die Tante fotografierend auf Murmeltiere gewartet hat."

    Schreibwerkstättenleiterin Antonia Baumann hatte sich aus dem Stapel der kopierten Fotos zuerst drei herausgesucht, auf denen jeweils ein Bauernbub mit einer Pfeife und eine uralte Frau mit einer Pfeife abgebildet sind. Fotos, die auf den heutigen Betrachter befremdlich wirken. "Klar, die Buben haben gearbeitet wie Männer - und auch geraucht und Bier getrunken wie Männer", erzählt Bernadette Mayr. So wird dieses Treffen und die Auseinandersetzung mit der Welt der "Bildberichterstatterin" Groth-Schmachtenberger gleichzeitig eine kleine Kulturgeschichtsstunde.

    "Das Schöne an den Bildern ist, dass sie so unprätentiös sind und keine Kunst sein wollen", schwärmt Johanna Spreitler. Und doch wirken die Darstellungen, auch die von harter körperlicher Arbeit, in der Distanz der Schwarz-Weiß-Fotografien oft idyllisch, sind sich die Frauen einig. "Die harte Realität dieser Zeit kommt durch die Texte wieder zum Tragen", verspricht Antonia Baumann mit Blick auf die Textergebnisse nach zwei Stunden Schreib-Werkstatt.

    Barfüßige Mädchen

    Vielleicht gehen die entstandenen Geschichten noch ganz neue Wege. Antonia Baumann jedenfalls hat ihrem Text schließlich doch ein anderes Foto zugrunde gelegt. Darauf sieht man zwei barfüßige Mädchen, die versuchen, einen Schlüssel in das Schloss einer alten Holztür zu stecken. Ihr Text heißt "Der Schlüssel passt ins Schloss".

    Dort soll der Text hin. "Aber dort ist er noch nicht angekommen", sagt Baumann lachend und legt ihren Stift für diesen Tag zur Seite.

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