An einem hölzernen Sichtschutz vorbei geht es hinein in einen Innenhof in der Duracher Straße. Dort, hinter einer schlichten Altbaufassade, spielt sich an sieben Tagen der Woche ab, was wie kaum ein anderes Thema mit Klischees und Tabus belegt ist: Prostitution. 50 bis 60 Frauen arbeiten laut Polizei in Kempten im Sexgewerbe - der einzigen Stadt im Allgäu, in der wegen der Zahl der Einwohner Bordelle erlaubt sind. Wie viel Geld Frauen und Häuser genau umsetzen, kann niemand sagen.
Auch Peter Vogler nicht, der mit seiner Frau Christine Mickley das Bordell in der Duracher Straße betreibt, eines der ältesten der Stadt. Nur eine Schätzung hat er: "300 Euro am Tag pro Frau sind realistisch", sagt er. Demnach würden mindestens 15000 Euro täglich in Kempten für sexuelle Dienstleistungen bezahlt - Eintritte und Getränke nicht eingerechnet. Ein Geschäft, an dem viele verdienen wollen. Am Dienstag wird daher im Bauausschuss der Antrag für zehn neue Bordell-Appartements in der Hirnbeinstraße behandelt. Vogler schaltet das Licht ein in der Bar hinter dem Eingang. Es ist nicht irgendeine Bordellbar - sondern die, die vor gut zwei Jahren zu einer bayernweit wegweisenden Gerichtsentscheidung führte: Das Paar erstritt sich eine Konzession - bis dahin hatten Bordellbars als "sittenwidrig" gegolten. Wer beim Ausschank erwischt wurde, musste zahlen.
Einer, der die Rotlichtszene aus der anderen Perspektive kennt, ist Hans Jürgen Löhr von der Kripo. Er hat schon oft in den Bordellen kontrolliert. Seine Einschätzung: In Kempten gebe es mit der Prostitution selbst kaum Probleme - auch keine Fälle von Zwangsprostitution oder Menschenhandel. Löhr: "Das liegt unter anderem daran, dass wir keinen Straßenstrich haben.
" Ruhestörungen oder Hausfriedensbrüche durch rabiate Freier kämen dagegen eher vor. Und 2006 gab es einen aufsehenerregenden Fall unweit der Big Box: In einem Wohnhaus, in dem ein Kind lebte, arbeiteten auf einmal Prostituierte - dem schoben die Behörden einen Riegel vor.
Freudenhausbetreiber Vogler geht die Treppe hinauf, die neben der Bar zum "Wellnessbereich" mit Sauna, Pool und Duschen führt - und zu den Zimmern, in denen die Frauen arbeiten. Sie zahlen Miete und rechnen ihre Dienste mit den Kunden ab. Geschäfte mit Sex zu machen - wie sieht Vogler das? Der Freudenhausbetreiber zuckt mit den Schultern. "Auch wir sind Teil des Lebens, wir sind nichts Schmutziges", sagt er. Er sehe sich als ein Stück Kemptens - wenngleich als eines, das im Abseits stehe.
"Wir entrichten Steuern, wir spenden, wir haben eine halbe Million Euro in den Umbau hier investiert. Und ich zahle Kirchensteuer", fügt er an.
Wobei er die Sache nicht idealisieren wolle: "Es gibt gute und schlechte Metzger - und so ist das auch bei Bordellen." Zum Beispiel in puncto Hygiene oder Arbeitsbedingungen für die Frauen. Apropos Frauen: Diese haben in der Duracher Straße keinen Eintritt. Eine Ausnahme bilden nur die etwa drei bis sechs Prostituierten, die sich im Haus aufhalten. So wie die beiden, die den Wellnessbereich über eine Seitentür betreten. Warum sie ihren Körper verkaufen? "Wegen des Geldes." Die eine zahlt ihr Auto ab, die andere ernährt damit ihre Tochter. In den Gesichtern steht nichts von den gängigen Klischees über Prostituierte. Draußen führen sie ein ganz normales Leben.
Blick in eines der ältesten Bordelle der Stadt: Seit 25 Jahren gibt es das Haus in der Duracher Straße. Etwa 50 bis 60 Prostituierte gehen in Kempten ihrem Gewerbe nach. Foto: Martina Diemand