Es war im Januar dieses Jahres. Ellinor Holland besuchte das Kinderheim in Gundelfingen. Die Kartei der Not hatte gerade mit einer 300 000-Euro-Spende die Einrichtung einer Station für Kinder in Notsituationen möglich gemacht. Eine Zufluchtsstätte für Buben und Mädchen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Nun also die Eröffnung. Und Ellinor Holland sagte: 'Ich sehe hier etwas Wunderbares. Einen Ort, an dem Kinder, die Schlimmes erlebt haben, das bekommen, was Kinder brauchen: Liebe, Wärme, stützenden Halt, also alles, was eine Familie bieten kann.' Es tue ihr gut, das zu sehen. 'Ganz persönlich, weil ich als Mutter und Großmutter weiß, wie wichtig eine liebende Familie ist, oder das, was ihr am nächsten kommt.' Das Kinderheim wurde 'Ellinor-Holland-Haus' getauft. Das Herz ist der Motor der Kartei der Not, dem Leserhilfswerk unserer Zeitung. Das Herz trieb Ellinor Holland an. 45 Jahre lang führte sie als Gründerin und Kuratoriumsvorsitzende die Stiftung, um dort einzugreifen und oft persönlich zu erscheinen, wo Leid zu lindern ist. Das Schicksal so vieler anderer in unserer Nachbarschaft hat sie tief bewegt. Es war ihr eine Herzensangelegenheit, etwas Gutes für diejenigen zu tun, denen es nicht so gut geht. Seit der Aktion 'Weihnachtsfreuinzwide für Gelähmte' im Jahr 1965 hat die Solidargemeinschaft mit mehr als 33 Millionen Euro unverschuldet in Not geratene Menschen und Sozialeinrichtungen unbürokratisch und direkt unterstützt. Wurden im Gründerjahr 10 000 Euro ausgegeben, waren es 2010 immerhin rund 1,3 Millionen Euro, mit denen in fast 2500 tragischen Fällen geholfen werden konnte. Doch ohne Spenden wäre die tatkräftige Nächstenliebe niemals möglich gewesen. 500.000 Euro brachte etwa die 'Schützenhilfe für die Kartei der Not'. Mehr als 50000 Schützen aus Schwaben und dem angrenzenden Oberbayern hatten sich an der bislang größten Hilfsaktion in der Region beteiligt. 'Wir dürfen nicht nachlassen, sonst läuft uns die Not davon' Viele Tausend Privatleute und Unternehmen haben die Stiftung finanziell unterstützt; Musiker mit ihren Konzerten des Allgäu-Schwäbischen Musikbundes, Schafkopfspieler, Fußballer und Golfer, die 'Historische Druckergilde zu Kaltenberg', zuletzt Künstler mit ihren Werken – um nur einige zu nennen. Der Erfindungsreichtum kannte und kennt keine Grenzen. Ellinor Holland selbst war mit hohem persönlichen Einsatz in der ganzen Region unterwegs und hat um Spenden geworben. Sie ist mit Engagement und Leidenschaft vorausgegangen. Sie hat jahrelang Benefizveranstaltungen besucht und nicht sentimental, sondern mit klaren Worten ausgedrückt, was das Sozialwerk tut. Sie war Motor und Mahnerin zugleich. Sie hat in den Sitzungen des Kuratoriums Förderanträge mit viel Herz und Menschlichkeit, großzügig, bisweilen auch streng bewertet. 'Wir dürfen in unserer Großzügigkeit nicht nachlassen, sonst läuft uns die Not davon', hat sie immer wieder gesagt. Einzelschicksale gingen Ellinor Holland nahe. Und die manchmal schier aussichtslose Lage alleinerziehender Mütter hat sie besonders betroffen gemacht. 'Sie müssen alles zusammen meistern: Arbeit, Erziehung, Fürsorge und Liebe.' Sie beschrieb eindringlich die Situation von Schlüsselkindern, die ohne Frühstück zur Schule gehen, mittags nicht vernünftig verpflegt werden und auf die zu Hause niemand wartet. Erst vor Kurzem, zum 45. Jubiläum, hat sie den Blick nach vorn gerichtet. 'Noch mehr private Hilfe ist das Gebot der Zukunft. Die Kartei der Not wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mehr gebraucht denn je.' Doch es machte sie auch traurig, dass die Hilfsbedürftigkeit Jahr für Jahr stieg, dass Schicksalsschläge heute häufig gleichbedeutend mit dem Absturz in die Armut sind. Die Lage der weniger Glücklichen in unserer Wohlstandsgesellschaft werde nicht besser, 'sie wird schlechter'. Dankesbriefe von Menschen, denen geholfen wurde, füllen inzwischen Bände. Es sind Menschen, deren schier hoffnungslose Lage oft schon mit einem kleinen Betrag verbessert wurde. Wie jene mittellose alte Frau, die schrieb: 'Sie haben mir Mut zum Weiterleben gegeben.' Manch große Aufgabe erforderten aber auch große Investitionen. So beteiligte sich das Leserhilfswerk etwa am Aufbau des Therapiezentrums für Schädel-Hirn- Verletzte in Burgau mit rund 500.000 Euro. Heute ist die neurologische Fachklinik ein fester und wichtiger Bestandteil der schwäbischen Krankenhauslandschaft und eine nicht nur für Bayern bedeutende Einrichtung. 'Zufrieden zurücklehnen dürfen wir uns nicht' Die Kartei der Not wurde zu einem Lebenswerk für Ellinor Holland. Vor zwei Jahren, zu ihrem 80. Geburtstag, sagte sie: 'Je weniger der Staat für die Armen tun kann, desto wichtiger werden Hilfswerke wie unseres.' Höchste Auszeichnungen haben Ellinor Holland stolz gemacht. Sie waren Anerkennung, aber stets auch ein Ansporn für sie und ihre beiden Töchter Ellinor Scherer und Alexandra Holland, die ihr als engagierte Mitglieder des Kuratoriums zur Seite standen, die Nachbarschaftshilfe in unserer Heimat fortzuführen. 'Lasst uns nicht ausruhen', hat Ellinor Holland jüngst einmal gesagt. 'Zufrieden zurücklehnen dürfen wir uns nicht.'
Kartei der Not