Bad Oberdorf, ein kleines Dorf im Oberallgäu, in den 1950er Jahren. Rudolf Finkel und seine Freunde rennen die Kurze Gasse hoch. Hinter sich ziehen sie ihre Schlitten her, gefertigt von Rudolfs Großvater, an dessen Wagnerei vorbei sie nun den kleinen Buckel zielstrebig hochmaschieren.
Zwei bis drei Kinder quetschen sich vergnügt auf einen der Schlitten und fahren los durch die verwinkelten Gassen. Den Berg runter kommt man immer, egal wie, erinnert sich Rudolf Finkel an seine Kindheit.
Damals, als kleiner Bub, hat er schon beim Opa in der Werkstatt mitgeholfen und großes Interesse gezeigt. Der Geruch des Holzes, der frischen Späne die abfallen. Und Großvaters Werkzeug – die Eindrücke von damals sind heute noch dieselben. Die drei Stufen zur kleinen, gemütlichen Werkstatt lief er schon hunderte Male auf und ab.
Traditionelles Handwerk
Rudolf Finkel hat das Wagnerhandwerk 1959 gelernt. Er war damals letzter Lehrling der Wagner-Innung Allgäu. Die lange Wagner-Tradition geht bis in das Mittelalter zurück. Damals waren Wagner die Automechaniker ihrer Zeit. Sie bauten Wagen, Räder, Pflüge und andere landwirtschaftliche Gerätschaften.
Heute ist es kein Lehrberuf mehr und der Beruf des Wagners hat sich mit den Jahren verändert. So arbeitet Finkel im Sommer an gedrechselten Schalen oder bekommt Aufträge von Tourismus-Büros. Sein Sohn führt die Holz-Tradition der Familie fort. Er arbeitet in Vorderhindelang in vierter Generation, allerdings mehr im Bereich Design und Holz-Kunst.
Finkel ist froh, dass er den Umgang mit Holz noch auf die althergebrachte Weise erlernen durfte. Es ist ein schönes Handwerk. Viele Leute mögen es noch und schätzen es sehr. Und man darf nicht vergessen: Früher wurde nicht lange gefragt, was man werden will. Die Werkstatt war da, somit war es selbstverständlich, welchen Weg er einschlagen würde.
Schlittenfahren ist wieder Mode geworden
In den letzten 20 Jahren hat sich so manches geändert. Die Bahnen für Rodler sind wieder besser, die Schlittensohlen sind aus Edelstahl (rostet nicht) und Liebhaber des Schlitten-Rennsports zahlen gerne eine Summe im dreistelligen Bereich für ein echtes Unikat von Finkel. Immerhin braucht er gut einen ganzen Tag dafür. Allen Änderungen und Modeerscheinungen zum Trotz ist Rudolf Finkel wichtig, dass das Handwerk genauso gemacht wird, wie es mir damals gezeigt worden ist.
Einen Hobel, ein Stemmeisen, eine Säge und eine Schleifmaschine. Mehr Werkzeug braucht er nicht. Ich habe noch alle Werkzeuge und Maschinen, die mein Vater und mein Großvater genutzt haben. Teilweise sind sie sogar eigens hergestellt, erzählt Finkel stolz. Er verarbeitet am liebsten Ulmenholz, das sei das Beste. Junge Hölzer sind besser geeignet, weil sie enger gewachsen sind. Dadurch wird der Schlitten stabil und qualitativ hochwertiger.
Pimp My Ride: Niedriger, breiter, höher, tiefer
Größe, Gewicht und die bevorzugte Schnelligkeit des Rodlers spielen eine große Rolle. Einen ganz besonderen Auftrag erhielt Finkel, als er einen Schlitten für ein Kind mit Behinderung fertigen sollte. Hier war die Sicherheit hauptausschlaggebend, so musste er die Länge stark verändern und die Stabilität zusätzlich verbessern.
Das kann ich auch nur machen, weil ich nicht in Serie gehe, betont Finkel. So hat er auch nur maximal zwei Schlitten auf Vorrat, stellt pro Saison – je nach Winter – knapp 20 Schlitten her. Er hebt den Schlitten an, begutachtet ihn von allen Winkeln und wirkt zufrieden mit seiner Arbeit. Mit seiner Hand streift er über die glatten Flächen. Er zieht an seiner Pfeife und pustet den Rauch aus.
Als wäre ihm der Gedanke gerade erst wieder in Erinnerung getreten sagt er: Da laufen noch Schlitten, die schon mein Großvater gemacht hat. Und ohne es aussprechen zu müssen, hat man das Gefühl, er wünscht sich, dass seine Schlitten mindestens genauso lange fahren und den Besitzern Freude bereiten wie die des Opas.