Die Tage werden kürzer, die Abende dunkler. So manche Frau bekommt jetzt wieder ein beklemmendes Gefühl, wenn sie in der Dämmerung nach Feierabend zu ihrem Auto geht. Was tun, wenn man mal wirklich in eine gefährliche Situation kommt? Wenn ein Unbekannter sich beispielsweise in einer Tiefgarage von hinten nähert und zudringlich wird?
Dajana Wolf ist seit 12 Jahren Ausbilderin für Gewaltprävention und Frauen-Selbstverteidigung. In der WingTsun-Schule Kempten bietet sie Selbstverteidigungskurse speziell für Frauen an. Die "typische" Teilnehmerin an ihren Kursen gibt es nicht, sagt sie: "Die Bandbreite ist von der Hausfrau bis zur Managerin." Ebenso vielfältig sind Alter, Größe, Gewicht der Frauen. Selbst Sportlichkeit ist nicht notwendig.
Die Frauen kommen zum Selbstschutz. Es geht um Gewalt in der Beziehung, um Angst vor Vergewaltigung oder sexueller Belästigung. Aber auch vermeintliche Nichtigkeiten wie das Gedränge an der Kasse oder Rempeleien am Wühltisch treiben die Frauen in den Selbstverteidigungskurs. Sie wollen sich sowohl verteidigen können als auch Spaß an der Bewegung haben.
Dabei geht es bei ihren Kursen nicht darum, langwierig einzelne Techniken zu lernen, mit denen man seinen Gegner unschädlich machen kann. Dajana Wolf spricht von "Prinzipien", bestehend aus verbalen Übungen - also das Sich-Wehren mit Worten, einfachen Grundtechniken und einer Mischung von Lautstärke und bestimmtem, selbstbewusstem Auftreten. In bestimmten Situationen sei keine besondere Technik erforderlich, sondern "es muss in jeder Situation das gleiche anwendbar sein." Universelle Handlungsanleitungen also, die dann wie eine Art Programm ablaufen.
"Alles, was ich in der Handtasche habe, kann ich als Waffe benutzen," sagt sie. Zur Not auch die Handtasche selbst. Ein Regenschirm, die Walkingstöcke, egal was man auch immer zur Hand hat.
"Hau ab, lass mich in Ruhe!" schreien die Frauen im Kurs, wenn eine andere Teilnehmerin oder ein Trainer sie übungshalber angreift. Eine Drehung, ein beherzter Schlag mit der flachen Hand - je konsequenter sich eine Frau zur Wehr setzt, desto wahrscheinlicher ist, dass der Angreifer schnell von ihr ablässt.
Vom altbekannten "Tritt in die Kronjuwelen" rät Dajana Wolf eher ab. Zum einen sei es gar nicht so leicht, in solchen Stress-Situationen zu treffen. Zum anderen haben Männer einen sehr effektiven Schutzreflex, sie "ziehen die Kronjuwelen ganz schnell aus der Gefechtssituation".
Effektiver sei der Schlag mit der flachen Hand auf die Nase. Sie sei "sehr empfindlich, sofort fangen die Augen an zu tränen, dadurch ist der Mann für kurze Zeit außer Gefecht gesetzt und ich kann meine Beine in die Hand nehmen und wegrennen."
Von Hilfsmitteln wie Pfeffersprays rät die Selbstverteidigungsexpertin ab. Sie seien oft gefährlich für den Anwender selbst, im Falle Pfefferspray beispielsweise bei Gegenwind. Es gebe sogar Gewalttäter, die sich selbst regelmäßig Pfefferspray ins Gesicht sprühen, um sich abzuhärten. "Frauen haben alles, was sie brauchen, an sich. Sie haben Hände, sie haben Arme, sie haben Ellbogen, sie haben Knie."
Die Abwehr-Prinzipien kommen aus dem Wing-Tsun (sprich: "Wing-Tschung"), einer chinesischen Kampfkunst, die vor ca. 300 Jahren der Legende nach von einer Frau entwickelt wurde. Diese Frau soll damals in einem Zweikampf gegen einen Mann festgestellt haben, dass es für Frauen gut ist, ohne Kraft zu reagieren.
Diese Erkenntnis ist auch für Dajana Wolf der Grundstock ihrer Kurse: "Die Männer sind uns körperlich überlegen, da brauchen wir nicht diskutieren, darum müssen wir ohne Kraft den Männern Paroli bieten können. Und das funktioniert mit unseren Prinzipien."
Am wichtigsten sei die verbale Phase, also der Beginn der Abwehr, wenn man versucht, den Angreifer allein durch Worte und bestimmtes Auftreten bereits zu verunsichern und zu vertreiben. Die Trainerin gibt den Teilnehmerinnen einige Beispielsätze vor, z.B. "Geh weg!" oder "Lass mich in Ruhe!". Die Frauen müssen dann selbst entscheiden, welchen Satz sie sich einprägen und anwenden.
Wichtig ist dabei nur, dass es kurze, prägnante Ansagen sind. Keine Fragen stellen, keine Bitte äußern, denn "ich bitte niemanden darum, mich in Ruhe zu lassen, es muss eine klare Aussage sein." Laut und deutlich, so dass es eventuell auch Zeugen mitbekommen. Öffentlichkeit wirkt abschreckend auf viele Gewalttäter.
Für viele Frauen der blanke Horror: Die Schockstarre. Sich vor Angst, vor lauter Panik nicht mehr rühren können, geschweige denn sich zu wehren. Auch dagegen hilft das Training, vor allem, wenn man es regelmäßig betreibt. Die Regelmäßigkeit sorgt dafür, dass Frauen sich sicher sind: "Ich kann mich auf mich verlassen."
Selbst-Bewusstsein im eigentlichen Sinne. Diese Sicherheit durch regelmäßiges Üben hilft dabei, gar nicht erst in die Schockstarre hineinzufallen. Dajana Wolf empfiehlt mindestens ein halbes Jahr Selbstverteidigungskurs, wenn möglich zweimal pro Woche.
Weitere Infos über das Training, Preise und Kurse finden Sie bei der WingTsun-Schule Kempten.