Hopfen am See (ha). Therapien könnten die körperliche Beweglichkeit wieder so stärken, dass an Kinderlähmung erkrankte Personen im Alltag wesentlich besser zurechtkommen. Diese These vertrat Dr. Ulrich Steller in seinem Vortrag 'PPS - das Post-Polio-Syndrom', den er vor Betroffenen aus dem Allgäu und Nordwürttemberg hielt, die sich in Selbshilfegruppen engagieren (siehe eigener Bericht) und in Hopfen am See trafen. Unter den Spätfolgen der Kinderlähmung leiden allein in Deutschland bis zu 60 000 Menschen. Heute gilt die Krankheit in Deutschland als ausgerottet. Viele Menschen mit Poliomyelitis bleiben auf den Rollstuhl und andere technische Hilfsmittel ein Leben lang angewiesen. Die in den modernen Therapien erzielten Erfolge sind dennoch recht beachtlich, wie Dr. Steller in seinem Referat betonte. Der Chefarzt der Neurologie an der Fachklinik Enzensberg unterstrich, dass die mit Polio verbundenen Schmerzen oft auch ohne Medikamente gelindert werden könnten. Erfahrene Physiotherapeuten haben viele Möglichkeiten, therapeutisch erfolgreich zu arbeiten, betonte Dr. Steller. An weiteren typischen Beispielen aus der Praxis auf dem Enzensberg zeigte der Facharzt für Nervenerkrankungen, dass die Ergotherapeuten - ihre Gebiete sind Arbeits- und Beschäftigungstherapie - ebenfalls über sehr gute Techniken verfügen, um die Spätfolgen nach Polio zu lindern. 'Überhöhte Müdigkeit, die oft nicht mit körperlichen Anstrengungen zu erklären ist, der Verlust von Kraft und Ausdauer, Schmerzen in der Muskulatur und in den Gelenken oder Probleme mit der Atmung, mit dem Schlucken und Sprechen sind unter anderem die Symptome, die hier behandelt werden müssen. Hierzu wird ein Therapieplan aufgestellt und exakt umgesetzt', so Steller.
Klare Diagnose notwendig Ein erfolgreiches Konzept gegen die PPS setze eine klare Diagnose voraus. 'Die Medizin kann herausfinden, ob ein Patient mit schlaffer Muskulatur oder Lähmungserscheinungen tatsächlich vom Post-Polio-Syndrom betroffen ist oder ob es sich um eine andere Erkrankung handelt.' Zur Infektion mit der klassischen Polio kann es bis zur Schluckimpfung durch den Mundkontakt mit Fäkalien und Speichel kommen. Daher seien Kinder besonders oft betroffen. Die Krankheit bricht freilich nicht bei allen Personen aus, die sich angesteckt hatten. Polio kann jedoch übertragen werden. Das Tückische an dieser seltenen Krankheit - nur eine von hundert Infektionen bricht aus - ist laut Dr. Steller, dass eine besondere Spätfolge der Poliomyelitis oft erst 20 bis 50 Jahre nach der eigentlichen Erkrankung auftritt. Zuvor war der persönliche Gesundheitszustand über einen langen Zeitraum stabil geblieben. Dr. Steller gab hierfür die Erklärung, dass Nervenzellen, selbst wenn sie geschädigt sind, noch sehr gut funktionieren könnten. Doch ab einem bestimmten Moment tritt das Ende ihrer Leistungskraft ein. Eine Folge kann sein, dass sich zum Beispiel das rechte Bein nicht mehr bewegen lässt, während das linke gesund geblieben ist. Einen hundertprozentigen Schutz vor der Kinderlähmung biete eine Prävention durch den speziellen Impfstoff. 'Die Impfung sollte alle zehn Jahre erneuert werden', informierte Dr. Steller. Er betonte auch, dass es trotz der zu beklagenden Impfmüdigkeit keine neuen Fälle von Kinderlähmungen gebe. 'Die neurologischen Abteilungen der Kliniken werden regelmäßig von der zuständigen Stelle aufgefordert, Auskunft zu geben, ob bei den Neuaufnahmen entsprechende Verdachtsmomente entdeckt worden sind. Wir konnten dies immer mit einem klaren Nein beantworten. Polio gilt als ausgerottet, allerdings nicht in allen Ländern', so Dr. Steller.