Eigentlich wollte er Orchesterchef werden Kempten (li). Über die Gemeinsamkeiten von Politik und Musik philosophierte Oberbürgermeister Dr. Ulrich Netzer beim Empfang für Altoberbürgermeister Dr. Josef Höß, der seinen 75. Geburtstag feierte (wir berichteten). Dirigent sei sein Traumberuf gewesen, fand Netzer über den Jubilar heraus: 'Im übertragenen Sinn hat er sehr wohl dirigiert und ganze Orchester gut beschäftigt.'
Dabei waren ihm musikalische Höhenflüge nicht unbedingt in die Wiege des elterlichen Hofs in Aach bei Oberstaufen gelegt. Nüchternes Denken und entschlossenes Handeln wurden bei Höß in der kleinen Landwirtschaft mit vier Kühen und einem Schumpen geprägt. 1946 kam er ins Kemptener Schülerheim Stella Maris und besuchte das Carl-von-Linde-Gymnasium. Nach dem Abitur 1952 folgten eine Banklehre, das Studium der Rechte und Volkswirtschaft in München sowie die Promotion an der Uni Würzburg.
Über die Finanzverwaltung Augsburg kam Höß 1964 als Stadtkämmerer zurück nach Kempten und wurde 'Erster Geiger' im Orchester der Stadtverwaltung. 1970 verwirklichte er seinen Traum vom Dirigenten und folgte auf OB August Fischer an die Stadtspitze. Netzer: 'Hier galt es nicht nur kleine Kammermusikstücke sondern auch Opern und Symphoniekonzerte zu bewältigen.'
Schulen, Ring, Engelhaldepark
1972 stand eine 'Vergrößerung des Orchesters' ins Haus: Sankt Mang und Sankt Lorenz kamen zu Kempten. 'Dem jungen Orchesterchef gelang es mit Tatkraft und Umsicht, einen modernen und fortschrittlichen Klangkörper zu entwickeln', urteilt Netzer. Im sozialen Bereich verwirklichte Höß das Haus der Senioren, das Jugendhaus und das Haus International. Schulen, Gewerbepark und APC liegen auf seinem Weg. Mittlerer Ring, Rathausumbau, Engelhaldepark und Städtepartnerschaften sind weitere Stichworte. An der Spitze von AÜW, Sozialbau, Städtebaugesellschaft und Sparkasse habe Höß Weichen gestellt und in der Führung des Bayerischen und Deutschen Städtetags die Fahnen der Stadt hochgehalten. Außerdem war er Präsident des Bayerischen Sing- und Musikschulverbandes.
'1990 hat die Stadt den Vertrag nicht mehr verlängert', blickt Netzer zurück. Über Berlin landete Höß auf dem Sessel des Finanzbürgermeisters in Dresden. Bei seiner Verabschiedung 1999 attestierte ihm der dortige OB: 'Höß war für die sächsische Landeshauptstadt unersetzlich.' Von 1998 bis Juli 2006 führte der Alt-OB den sächsischen Landesverband des Roten Kreuzes.
Höß selbst erklärt beim Empfang mit zahlreichen Weggefährten: 'Ich bin stolz ein Allgäuer zu sein.' Und Kempten sei ein faszinierender Kosmos. 'Die wunderbare Abfolge der Plätze und die Lage vor den Bergen machen die Stadt zu einem einmaligen Lebensort.' Sollte er wieder auf die Welt kommen, wäre Oberbürgermeister von Kempten sein Traumberuf. Er zeigt sich tief bewegt von seinem Portrait, das der Kemptener Künstler Horst Heilmann gemalt hat: 'Ich bin stolz, beschämt und erfreut. Es ist erstaunlich, was ein gescheiter Künstler aus einem Allgäuer Grind machen kann.'