Kurt-Weill-Revue überzeugt mit schönen Stimmen, prima Musik und raffinierter Inszenierung. Von Bernhard Lepple Kaufbeuren Kalkig-weiße, kahle Köpfe starren geradeaus. Uniformiert im 'Blauen Anton' sitzen die gespenstischen Gestalten in Reih und Glied, bewegen sich nur spärlich. Auf rundem Tisch ein Goldfischglas. Über den Schädeln baumeln Klamotten aus den 20er und 30er Jahren. Und rings herum fährt unablässig rauchend und quietschend eine Spielzeugeisenbahn.
Das ist der Stoff, aus dem im Stadttheater die Liederträume eines Kurt Weill entstehen. Ein idealer Rahmen, denn seine Lieder und die anspruchsvollen Texte eines Brecht oder Ira Gershwin brauchen nicht viel Inszenierung. Sie sprechen für sich. Und sie haben das Glück, von vollen Stimmen intoniert, von gekonnten Musikern orchestriert und gespielt zu werden. Die Kurt-Weill-Revue von Sing- und Musikschule und Kulturwerkstatt lässt nämlich fast keine Wünsche offen.
Bach, Goethe, Mozart Jubiläumsjahre kommen und gehen. Jetzt auch noch Weill? Gottlob, muss man sagen. Der 100. Geburtstag des von den Nazis als 'entartet' gebrandmarkten Dessauers hat diesen großen Komponisten etwas aus der Versenkung geholt. Weltweit geben Bühnen einen Einblick in das pralle musikalische Schaffen, das der jüdische Deutsche in Dessau und Berlin, in der Emigration in Paris und London und schließlich als bekennender und überzeugter Amerikaner in nur 50 Lebensjahren gezaubert hat. Einer, der klassischer Sinfoniekomponist genauso ist wie Schöpfer von Berliner Gassenhauern, bewunderter Songautor am Broadway und Mitbegründer der amerikanischen Volksoper.
Aus großen roten Mündern erklingen traumhaft-schöne, aber schwierige Melodien. Gesangslehrerin und musikalische Leiterin Gabriele Hahn hat die Sänger hervorragend geschult und für den Bühnenauftritt optimal eingestellt (Regie: Thomas Garmatsch, Nadja Stiller, Wolfgang Wichmann). Eine gute Mischung haben die Kaufbeurer Weill-Macher dabei ausgewählt: Bekanntes aus der Dreigroschenoper und aus Mahagonny, weltberühmte Songs aus Weills Musicals und fast Unbekanntes aus den Walt-Whitman-Songs ('Beat beat drums') oder aus den Mittagsshows, die während des Zweiten Weltkriegs für Fabrikarbeiter produziert wurden ('Buddy on the nightshift'). Selbst die französische Episode fehlt nicht ('Complainte de la Seine').
Klaus Dopfer, Bernhard Fritsch, Christoph Heerens und Christopher Nell sind nicht nur stimmsicher sondern auch ausdrucksstark und verstehen es, den finessenreichen Songs die benötigten Nuancen zu verpassen. Elegant löst beispielsweise Fritsch die schwierige Aufgabe, den schon etwas abgenudelten 'September Song' frisch ans Volk zu bringen: Er quetscht die schöne Melodie in einer kehlig-verfremdeten Version heraus, die stark an Lou Reeds Variante erinnert. Bei den Damen bestechen Anne Albrecht und Christina von Lütgendorff mit Strahlkraft, Volumen und Timbre, ob in 'Speak Low', 'My Ship' oder auch dem überzeugend-witzigen Eifersuchtsduett von Albrecht und Verena Biemann. Traudl Kaisinger wagt sich an die 'Seeräuber Jenny'. Obwohl, oder gerade weil sie diesen ausdrucksstarken Song vom Schiff mit den sieben Kanonen an Bord in genau der rauhen Version von Weills Frau Lotte Lenya bringt. Die Kaisinger-Jenny überzeugt.
Nicht geringen Anteil an der geschlossenen Ensembleleistung hat das Orchester mit Carla und Tiny Schmauch, Martin Jankovsky, Lothar Ringmayr, Jörg Illner und Simon Meggle. Besonders bei den jazzigen Partien läuft es zu Hochform auf. Besonderes Lob verdienen die außergewöhnlichen Arrangements, die überwiegend aus Schmauchs Feder stammen. Bleibt nur eine Frage offen: Was soll eigentlich die sich ewig drehende, bald nervige Eisenbahn? Puren Gag hat diese Revue weißGott nicht nötig. i Weitere Vorstellungen der Weill-Revue: 31. März, 1., 2., 7., 8. April (19.30 Uhr, Stadttheater); 9. April (17 Uhr, Waldorfschule Landsberg). Karten: AZ-Servicecenter, Schmiedgasse.