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Fußball als Tor zu neuen Freunden

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Fußball als Tor zu neuen Freunden

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    Fußball als Tor zu neuen Freunden
    Fußball als Tor zu neuen Freunden Foto: hermann ernst

    Jinan und Batol aus dem Irak fühlen sich beim FC Immenstadt sehr wohl - Für die Schwestern ist ihr Hobby in der neuen Heimat so wichtig wie ihr Glauben Von Werner Kempf |Immenstadt Jinan fällt sofort auf. Auch wenn dicke Nebelschwaden über dem Gelände des FC Immenstadt hängen und das Licht aus den Scheinwerfern auf den vier Eisenmasten nur spärlich durch die Dämmerung mit dem Nieselregen dringt. Die Zehnjährige unterscheidet sich von ihren Mitspielern der E-Junioren, die an diesem tristen Novemberabend hinter dem Ball her rennen. Jinan hat keine gefärbten Haare, keine Nasen- oder Ohrringe oder sonst ein Piercing im Gesicht. Sie trägt ein graues Kopftuch. Deswegen ist sie in der Schule und auch von Spielern der gegnerischen Mannschaften schon mal gehänselt worden. Ihre Mitspieler stört das Kopftuch nicht. Es ist cool, dass Jinan damit Fußball spielt, sagt Christian (10). Und der gleichaltrige Marco findet es toll, dass seine Mitspielerin hinter ihrem Glauben steht und das auch zeigt. Sven (9) meint: Es ist doch wichtig, dass sie für uns Tore schießt. Jinan trägt ihr Kopftuch seit sie neun ist. Sie ist stolz darauf, weil es Teil meines Glaubens ist und ich meinem Glauben folgen möchte. Sie erklärt, dass sie als Muslimin auch die anderen Körperteile bedecken muss. Sie darf außer Gesicht, Händen und Füßen nichts zeigen, was die Aufmerksamkeit der Männer wecken könnte. Wäre es nicht leichter, von anderen Mädchen und Buben akzeptiert zu werden, wenn sie zu ihren großen dunklen Augen und ihren makellosen Zähnen ihre Haare zeigen würde? Wer mich wirklich mag, hat kein Problem mit meinem Äußeren, stellt die Hauptschülerin der fünften Klasse klar. Auf dem Platz gegenüber kickt Jinans 15-jährige Schwester Batol mit dem Mädchen-Team des FCI. Auch sie fällt auf, wenn sie mit ihrem schwarzen Kopftuch den Ball erkämpft und zu ihren Mitspielerinnen passt. Batol hat im vergangenen Jahr mit ihrer türkischen Freundin Ümmühan (16) díe Mannschaft gegründet, nachdem sie bei den C-Junioren das einzige Mädchen war und keinen Spaß mehr hatte, gegen die körperlich überlegenen Buben zu spielen. Ungewisse Zukunft Noch vor sieben Jahren hatte Batol mit Fußball nichts am Hut: Der Familie Al Hashemi geht es schlecht und ihre Zukunft ist ungewiss. Vater Mohamed arbeitet als Teppichverkäufer in Kerbela (80 km südlich von Bagdad). Als Schiite hat er es nicht leicht. Die Sunniten, die unter Saddam Hussein regieren, machen den Schiiten das Leben schwer. Repressalien im Beruf sind üblich. Mohamed Al Hashemis Kinder sollen es einmal besser haben. Im Oktober 2000 stellt er einen Ausreiseantrag. Zwölf Monate später darf er mit Sohn Ahmed (7) und der damals neun Jahre alten Batol nach Deutschland ausreisen. Mutter Amira und Jinan müssen noch ein Jahr warten, bis auch sie ihre Heimat verlassen können, da kein Platz mehr im Asylantenwohnheim in Nürnberg für die beiden ist. Im Allgäu vereint Im Oktober 2002 ist die Familie im Allgäu wieder vereint und findet in Immenstadt eine Wohnung. Hier entdecken die drei Kinder die Liebe zum Fußball. Mit Gleichaltrigen aus der Nachbarschaft kicken Batol, Jinan und Ahmed auf der Straße, ehe sie sich den Nachwuchs-Teams des FC Immenstadt anschließen. Und neue Freunde finden. Wir haben uns jedoch auch ohne Fußball hier gut integriert und fühlen uns sehr wohl, sagt Batol. Sie steht nach dem Training mit ihren Teamkolleginnen vor der Kabine, die Kopfhörerstöpsel ihres MP3-Players im Ohr. Ihr Handy klingelt. Eine Freundin will wissen, ob sie zur Geburtstagsfeier kommt. Batol sieht glücklich und zufrieden aus. Beim Fußball kann ich so richtig Stress abbauen und fühle mich danach unheimlich gut, sagt die Irakerin. Alles versucht Nur einmal musste sie erleben, als Muslimin nicht willkommen zu sein. Am Schüler-Austausch des Immenstädter Gymnasiums mit der Partner-Schule in Wellington (England) hätte die 15-jährige im vergangenen Monat gerne teilgenommen. Doch das lehnte die Schulleiterin in Wellington ab. Die hat wohl geglaubt, dass ich eine Bombe in die englische Schule werfe, sagt Batol und schüttelt den Kopf. Sie hat bei ihren Lehrern alles versucht, um beim Austausch mitmachen zu können. Ohne Erfolg. Das Ziel solcher Programme ist es doch, Freundschaften zu schließen, Verständnis für andere Kulturen zu wecken und Vorurteile abzubauen, sagt Batol. Der tägliche Terror und das Sterben vieler unschuldiger Menschen in ihrer Heimat machen die 15-jährige Schiitin sehr traurig und nachdenklich. Sie leidet mit, wenn sie im Fernsehen Bilder von Müttern und Vätern sieht, die blutende Kinder in die Notaufnahme tragen. Von Krankenwagen, die gestohlen und dann als Autobomben in die Luft gejagt werden. Kein wirklicher Moslem würde einem anderen Moslem so etwas antun, sagt Batol. Sie weiß, dass arabische Regionen ein Nährboden für islamistische Fundamentalisten und deren Prediger bilden, weil Jugendlichen dort meist jegliche Perspektive fehlt und ihr Leben der Krieg prägt. Diese Situation nutzen radikale Fanatiker aus. Sie erzählen den Menschen, sie seien Heilige und Märtyrer, deren Seelen direkt in den Himmel gelangen, wenn sie sich und andere töten, sagt die 15-Jährige entrüstet. Laptop und Wasserpfeife In ihrer neuen Heimat sind die Al Hashemis sicher. In Batols Zimmer hängen Fotos, die sie, Jinan und Ahmed als Kinder zeigen. Auch Porträts von Mädchen und Buben, die Freundin Ümmühan mit Öl und Bleistift gemalt hat. Auf dem Schreibtisch steht ein Laptop, auf dem gegenüberliegenden Regal eine Stereoanlage und in der Ecke eine Wasserpfeife, die zum Einsatz kommt wenn mich meine Freundinnen besuchen. Daneben an der Wand sechs eingerahmte Suren (Glaubenssätze aus dem Koran, die heilige Schrift des Islam) in kunstvoll ornamentierter arabischer Schrift. Die 15-Jährige steht zu ihrem Glauben und betet fünfmal je drei Minuten am Tag. Auch das Kopftuch ist ihr wichtig. Viele glauben, dass Mädchen und Frauen, die ein Kopftuch tragen, kein Deutsch können, nicht modern sind und zu Hause unterdrückt werden, erzählt Batol. Aber das stimmt doch gar nicht. Bleibendes Geheimnis Inzwischen haben die E-Junioren des FCI das Training beendet. Vor der Kabine tippt Steven (10) Jinan auf die Schulter. Welche Haarfarbe hast du denn eigentlich? Braun, schwarz oder vielleicht doch Strähnchen? Jinan schaut den Zehnjährigen an, lächelt verschmitzt und sagt: Ein Junge in deinem Alter muss noch nicht jedes Geheimnis kennen.

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