Kempten (se). - Goldene Brücken bauen Staatsanwältin und Richter dem Angeklagten, der sich wegen Beleidigung verantworten muss. Doch eine Einstellung des Verfahrens gegen eine geringe Auflage lehnt der Akademiker in Altersteilzeit ab: 'Damit würde ich ja den Vorwurf einräumen. Ich habe aber niemanden beleidigt', beharrt der Mitt-Sechziger. Hat er doch, befindet das Amtsgericht. Und widerlegt die landläufige Ansicht, dass ein in eine Frage verpacktes Schimpfwort nicht geahndet werden könne. 'Bankrotterklärung der Kemptener Justiz', 'juristisch völlig abwegiges Verfahren' und 'Habe ich es hier mit lauter Fachidioten zu tun?', hatte der Beklagte in einem Schreiben an zwei Juristen formuliert. Einen Anwalt und einen Familienrichter nämlich, denen der Allgäuer vorwirft, ihn ohne jegliche Aussicht auf Erfolg in immer neue Prozesse zu treiben. Unterhaltsstreitigkeiten liegen der Sache zu Grunde. Mehrere Kinder des Wissenschaftlers studieren und nehmen Vaters Unterstützung in Anspruch - rund 2500 Euro soll er dafür aufbringen. Ein Sohn hat weitere 447 Euro vor Gericht erstritten. 'Aber bei mir ist nichts mehr zu holen', beteuert der streitbare Pensionär, 'ich bin gepfändet bis auf den gesetzlichen Selbstbehalt.' Der bislang unbescholtene Mann hat sich schriftlich entschuldigt für den Fall, dass sich irgend jemand beleidigt fühlt. Einräumen will er den Tatbestand allerdings nicht - es sei lediglich die Frage nach den Fachidioten gestellt worden, niemanden habe er so bezeichnet. Er plädiert für sich selbst 'auf Freispruch wegen erwiesener Unschuld' und stellt die Vermutung an, dass solche Vergehen wohl gar nicht zur Verhandlung kämen, wenn nicht gerade Personen aus dem Umfeld der Justiz Strafanträge stellen. An die große Glocke will er eine Verurteilung hängen, mit Schreiben an Justizministerium, Anwaltskammer und Opfer-Verbände: 'Dann schieße ich aus vollen Rohren.'
Unterste Unrechtsschwelle Eine Verurteilung erspart ihm das vor dem Kemptener Amtsgericht allerdings nicht. An der 'untersten Unrechtsschwelle' sieht zwar Richter Bernd Magiera die Tat. Sogar 'nachvollziehbar' sei die Verzweiflung des Angeklagten wegen des finanziellen Ruins und der dauernden Streitigkeiten. Andererseits sei die Rechtsprechung in derartigen Fällen bis in die höchsten Instanzen 'ausgekocht': Es komme darauf an, wie ein normaler Außenstehender die jeweilige Anrede beurteilen würde - 'objektiver Empfängerhorizont' im Juristendeutsch. Und bei Otto Normal würden nun einmal die Alarmglocken klingeln, wenn er 'Fachidiot' hört. Ein Fragezeichen ändere nichts an der Ehrverletzung. 20 Tagessätze a 25 Euro verhängt das Gericht letztlich. Das gängige Strafmaß bei Beleidigungen liege bei 50 Tagessätzen, erläutert der Richter. Für den Angeklagten, der auch die Gerichtskosten tragen muss, wenig Trost: 'Ich kann's nicht zahlen. Für mich bedeutet das 20 Tage Gefängnis.'