Von Michael Munkler, Oberstdorf/Kempten/Memmingen - 2002 wird bei den Meteorologen schon jetzt als Jahr der Extreme verbucht: Grimmiger Kälte in den ersten beiden Januar-Dekaden folgten ein viel zu warmer Februar und ein Sommer mit ungewöhnlich vielen Unwettern und Überschwemmungen. Gestern setzte das Wetter zu neuen Rekorden an: Der extreme Föhn trieb die Temperatur in Kempten auf 17 Grad. Die Allgäu-Metropole war damit der wärmste Ort Deutschlands. Und auch für kommenden Sonntag ist wieder mit Föhn zu rechnen. Schnee und Kälte sind bis auf weiteres nicht in Sicht. Schon die Römer beschäftigten sich mit den Ursachen des Föhns, der immer wieder als Grund für Kopfschmerzen, Unwohlsein und Abgeschlagenheit herhalten muss. Meteorologen erklären die Entstehung des warmen Fallwinds so: Auf der Alpensüdseite steigt im Stau der Berge warme und sehr feuchte Luft auf, es kommt zu teils kräftigem Regen - wie beispielsweise vergangenenes Wochenende im Tessin. Nach dem Überqueren des Alpenhauptkamms in Richtung Norden erwärmt sich die trockene Luft beim Absinken schneller als sie zuvor abkühlte. Dadurch sind die aus Süden ins Alpenvorland oft mit Stürmen einbrechenden Luftmassen viel wärmer als sie vor dem Abregnen und Überqueren des Gebirges waren (Grafik).
'Im Extrembereich' Der diesjährige, bisher insgesamt zu warme Herbst brachte beispielsweise im Oktober in Oberstdorf acht und im November bis gestern fünf Föhntage. Die gestern im Allgäu gemessenen Temperaturen seien für die Jahreszeit 'schon im Extrembereich', sagt Wetterdienst-Techniker Christoph Schmidhuber von der Oberstdorfer Station des Deutschen Wetterdienstes (DWD). So wurden gegen Mittag in Oberstdorf bei Föhn 16,1 Grad gemessen. Und der warme Fallwind war so stark, dass er sich bis in den Raum Kempten durchsetzen konnte: Dort wurde am Mittag mit 17 Grad die höchste Temperatur in ganz Deutschland gemessen. Kurios: Im nur etwa 35 Kilometer Luftlinie entfernten Memmingen waren es zu selben Zeit gerade einmal sieben Grad. Bis dorthin konnte sich der warme Fallwind nicht durchsetzen.
Meist im Frühjahr und Herbst Richtig aufgedreht hatte der Föhn am Alpenrand in Oberstdorf bereits am frühen Morgen: Zwischen 5 und 6 Uhr kletterte das Quecksilber um sage und schreibe von einem auf elf Grad. 'So was ist wirklich ungewöhnlich', sagt Schmidhuber. Föhn-Wetterlagen dauern im Allgäu meist ein bis drei Tage an und sind im Frühjahr und Herbst am häufigsten. Ein internationales Meteorologen-Team hatte vor drei Jahren in Österreich das scheinbar völlig unberechenbare Fließverhalten des Föhns über die Alpen untersucht. Dabei waren sie zu dem Schluss gekommen, dass der warme Fallwind in seiner Bewegung über den Alpenhauptkamm stark dem Fließverhalten von Wasser über ein Wehr gleicht. Lindau und der östliche Bodenseeraum profitieren in Sachen Föhn besonders stark von der nahen Lage zum Schweizer Rheintal. Denn dieses gilt mit einer Gesamtlänge von rund 150 Kilometern als längste Föhngasse der Alpen - vom Splügenpass bis zur Mündung des Rheins in den Bodensee.