Da kommt er. Im blauen Lodenmantel, einen roten Schal um den Hals gewickelt. Sein Gesicht ist aus den Nachrichten vertraut. Franz Müntefering, einer der Großen der Bundespolitik. Rund 30 Leute warten vor dem Memminger Rathaus auf ihn, die meisten SPD-Mitglieder. Er schüttelt Hände, lächelt. 'Ich brauch’ Dich nicht vorstellen', setzt Stadtrat Herbert Müller im programmatischen Du der Sozialdemokraten an. 'Dich kennt man überall.' Aber Müntefering kennt Memmingen nicht. Also ein gemeinsamer Spaziergang auf den Spuren der SPD. Hintergrund ist die 120-Jahr-Feier des Memminger SPD-Ortsvereins, bei der Müntefering die Festrede hält. 'Einer der schönsten Plätze Süddeutschlands', sagt Müller, deutet lässig über den Marktplatz und eilt Richtung Stadthalle. Eine Quadriga aus Müller, Müntefering, Rolf Spitz, Memmingens SPD-Chef, und Werner Häring, Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion, führt die Gruppe an. Auch Häring trägt einen roten Schal. Aus Verbundenheit? 'Ja, den hat Franz Müntefering eingeführt. Er hat ihn immer auf Wahlkämpfen getragen', sagt Häring.
Die Gruppe bleibt vor der Stadthalle stehen. 'Bis vor 35 Jahren war hier eine große Brauerei', erzählt Müller. Mit hohen Mitteln aus dem Zukunfts-Investitionsprogramm des damaligen SPD-Kanzlers Helmut Schmidt sei der Betrieb auf die grüne Wiese ausgelagert worden.
Die Gruppe geht weiter zum Bürgerbüro in der Pfaffengasse. Müntefering tritt kurz ein, signiert ein Foto von sich. Die meisten warten draußen, auch Dr. Johannes Bauer, Memmingens Oberbürgermeister von 1968 bis 1980. 'Müntefering ist die Verkörperung der SPD, die meine war', sagt er. Die bodenständige, erklärt er, die Partei vor Lafontaine.
'Geschenk der Geschichte'
Es geht weiter. Müller hat den Rundgang zusammengestellt. Antonierhaus, Schrannenplatz, überall erklärt er die Handschrift der SPD im Stadtbild. Müntefering hört ihm zu, schweigt meist, betrachtet aufmerksam. Im Eiltempo geht’s durch die Fußgängerzone. Zwei Mütter weichen mit ihren Kindern zur Seite. Müntefering geht zu ihnen und reicht seine Hand. Ein Passant fragt: 'Den kenne ich doch. Aber wer ist das nochmal?'
In der Kramerzunft hört der 71-Jährige von den Zwölf Bauernartikeln, die 1525 in Memmingen verfasst wurden. Der Sozialdemokrat merkt auf, den wachen Blick auf Müller gerichtet. Die Würde des Menschen, die Gleichwertigkeit aller. 'Das ist auch immer die Botschaft der Sozialdemokratie gewesen', sagt Müntefering. 'Da habt Ihr ein großes Gut, ein Geschenk Eurer Geschichte. Das müsst Ihr weitergeben.'
Auf dem Weg zum Festakt im Bonhoeffer-Haus sagt Müntefering: 'Sie haben es schön hier zum Wohnen, zum Leben.' Auf seinen Schal angesprochen lächelt er. 'Wenn ich ihn im Bundestag vergesse, liegt er ein, zwei Tage später auf jeden Fall in meinem Büro. Der ganze Bundestag weiß, wem der gehört.' Der rote Schal, sein Markenzeichen.
'Übrigens', erwähnt er, 'der kommt ins Haus der Geschichte.' Müntefering blickt auf. 'Ich weiß gar nicht, ob ich Ihnen das schon sagen darf. Na, jetzt wissen Sie’s.' Er reicht die Hand zum Abschied und verschwindet im Dietrich-Bonhoeffer-Haus, wo er sich nach der Festrede noch ins Goldene Buch der Stadt einträgt.