Von Markus Raffler, Dietmannsried/Haldenwang - Es sollte eine unbeschwerte Fahrt in den Frühling werden. Sonne, ein weiß-blauer Himmel - und die Bodenseestadt Lindau als Ziel. Doch ein dumpfer Schlag beendet für Dorothee Bucka und 53 weitere Zuginsassen die Idylle. Die 50-jährige Frau aus Waldenburg bei Schwäbisch Hall spürt, wie ein Ruck durch den ersten Wagen des Regionalexpresses Ulm-Lindau geht, sie hört das Ächzen von Metall, das Bersten von Fenstern und wirft sich instinktiv auf den Boden. 'Dabei habe ich gar nicht gemerkt, dass sich der Wagen komplett gedreht hat', schildert Bucka den Zusammenstoß des Zuges mit einer Teermaschine (siehe Allgäu-Rundschau). Doch die frühere Pfarrerin, die freiberuflich als Fahrgastzählerin bei der Deutschen Bahn arbeitet, behält einen klaren Kopf. Sie rennt nach vorn in Richtung Führerstand, will für sich und die geschockte, von Glassplittern verletzte Schaffnerin die geschlossene Zugtür aufreißen. 'Die Frau stand zuvor noch neben dem Lokführer im Führerstand und konnte im letzten Moment zurück weichen', berichtet Bucka. 'Zum Glück waren die anderen Fahrgäste alle weiter hinten, denen ist nicht allzuviel passiert.' Auch von einer Panik sei zumindest in der vorderen Zughälfte nichts zu spüren gewesen.
'Schaut nach dem Lokführer' Rund drei Minuten sind nach dem Zusammenstoß vergangen, da kommt von außen bereits erste Unterstützung für die beiden Frauen: Der ohrenbetäubende Aufprall hat Altbauer Matthäus Reichart aus Dietmannsried-Kassier sofort aus der Werkstatt des Sohnes stürzen lassen. Mit vereinten Kräften öffnen die drei nun die Zugtüre. 'Schaut nach dem Lokführer, um den steht's schlecht', ruft Reichart (69) den eintreffenden Rettern zu. 'Ich habe ein Warnsignal gehört und dann mehrere dumpfe Schläge. Es war ein Lärm wie bei einem Gewitter oder wie wenn Schrott gepresst wird', berichtet der Altbauer, der an diesem Vormittag seinen Sohn auf dem Hof unterstützt. 'Dann war plötzlich alles ruhig, nur eine Dampfwolke war zu sehen.' Eine 37-jährige Angestellte aus dem Nachbarhaus alarmiert schließlich Polizei und Rettungskräfte. Sie hat erst einen langen Pfiff, dann einen 'dumpfen Schlag' gehört. Was genau sich 50 Meter von ihrem Arbeitsplatz entfernt ereignet hat, das ahnt sie freilich noch nicht. 'So etwas habe ich noch nie erlebt', sagt Altbauer Reichart knapp eine Stunde später. Vor allem der Anblick des eingeklemmten Lokführers habe ihn schwer 'gebeutelt', ergänzt der 69-Jährige betroffen. 'Der war noch jung und hatte bei dem hohen Tempo keine Chance, zu reagieren', kann eine ältere Augenzeugin den Kloß im Hals nicht verbergen. Bis zu 140 Stundenkilometer sind die Züge auf dem Streckenabschnitt zwischen Heising und Dietmannsried unterwegs. Zweimal sei es in den Jahren zuvor im Bereich Kassier zu Unfällen gekommen, erinnert sich Reichart. 'Das letzte Mal vor zwölf Jahren endete es glimpflich, da hatte sich ein großer Tanklastzug in der Leitplanke verhakt.' Einmal freilich sei ein Zwischenfall ebenfalls tragisch ausgegangen. 'Das war vor etwa 20 Jahren. Da ist einer Frau auf dem Übergang der Motor abgestorben. Ihr Kind konnte sie noch aus dem Auto in Sicherheit bringen, aber sie selbst kam unter den Zug.' Zitat Ich habe vom Aufprall nicht viel mitbekommen - ich habe nur gemerkt, dass etwas Schlimmes passiert.} Zuginsassin Dorothee Bucka Während sich Polizei und Rettungskräfte fürsorglich um die verstörten und verletzten Zuginsassen kümmern, rätseln die Anlieger über die Hintergründe des Unglücks. War die Schranke offen oder geschlossen, fragt man sich in Kassier. 'Und wie kam das Teerfahrzeug überhaupt auf den Übergang?', grübelt ein 77-Jähriger, der selbst 38 Jahre im Führerstand einer Lok saß. Wie auch immer. Für den Dietmannsrieder steht fest, dass der Zugführer nicht mehr auf das plötzliche Hindernis reagieren konnte. 'Mit so etwas muss man in diesem Beruf leider jeden Tag rechnen.' Zahlreiche Schüler zählten zu den Insassen des Regionalexpresses Ulm-Lindau, der gestern bei Dietmannsried-Kassier mit einem Teerfahrzeug kollidierte. Rettungskräften und Mitgliedern des Krisen-Interventionsdienstes betreut, anschließend setzten sie die Fahrt in Bussen fort.