Kaufbeuren (mab). - Mit großem Beifall wurde gestern Dr. Michael von Cranach nach 26 Jahren als Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses (BKH) Kaufbeuren bei einem dreieinhalbstündigen Festakt verabschiedet. Zahlreiche Redner würdigten das Wirken des Mediziners, der Anfang der 80er Jahre vom Bezirk Schwaben mit dem Ziel angestellt wurde, die Psychiatrie in Kaufbeuren zu reformieren. Von Cranach hatte in dieser Zeit das Krankenhaus von einer geschlossenen Anstaltspsychiatrie in eine vor allem mit offenen Türen und ambulant arbeitende Einrichtung umgebaut. Cranach selbst betonte, dass er es nach wie vor für bemerkenswert halte, dass ihn der Bezirk seinerzeit in die Direktorenposition hievte, 'obwohl mir in bestimmten Kreisen der Ruf vorauseilte, ein Linker zu sein und entsprechende Warnsignale ausgesandt worden waren'. Aber das Gremium mit Dr. Georg Simnacher an der Spitze habe sich davon nicht abhalten lassen. 40 000 Menschen seien in den 26 Jahren seiner Amtszeit behandelt worden. 'Ich fand es immer spannend, die Lebensgeschichte eines Patienten zu erfahren - etwas, dass weder Flaubert, Kleist oder Dostojewski toppen konnten', so der 65-Jährige. 'Ich fand es immer toll, mich mit diesen Dingen beschäftigen zu dürfen und dafür auch noch bezahlt zu werden.' Dabei war das Ansehen der Psychiatrie in den 60er Jahren, als er sich entschied, in dieses Fachgebiet zu wechseln, auch in Medizinerkreisen nicht hoch: 'Schade, dass Sie in die Psychiatrie gehen, aus Ihnen wäre ein guter Arzt geworden', hatte der Chef einer Inneren Abteilung damals zu dem jungen von Cranach gesagt. Insgesamt sei die Psychiatrie keine schlechte Entscheidung gewesen, gab es in all den Jahren 'bloß ein einziges Ermittlungsverfahren wegen falscher Behandlung gegen mich und das wurde eingestellt'.
Marathon des Lobes Vor der Abschiedsrede von Cranachs hatte es einen regelrechten Marathon an Laudationes gegeben. 'Als Sie nach Kaufbeuren kamen, hatten die Zustände dort kaum mit würdevollem und angemessenem Umgang mit psychisch kranken Menschen zu tun. Abseits der Großstädte haben Sie die Vision von einer offenen, gemeindenahen, integrativen Psychiatrie umgesetzt, die beispielhaft auch für die Entwicklung in vielen anderen Regionen in Deutschland wurde', so Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert.'Ich habe mich oft gefragt, wie Sie es geschafft haben, vor allem in der ersten Zeit, auch die politisch Verantwortlichen auf ihre Seite für Ihre doch revolutionäre Kehrtwendung in der hiesigen Psychiatriepolitik zu bringen', meinte auch Thomas Düll, Leiter der schwäbischen Bezirkskrankenhäuser. 'Entweder sind die bayerischen Schwaben tief in ihrer Seele doch Querdenker oder stille Revoluzzer oder die meisten wussten damals gar nicht genau, was sie eigentlich beschlossen hatten', meinte Düll. Humorig moderiert wurde der Festakt von Dr. Andreas Küthmann, Chefarzt der Psychiatrie am Klinikum Memmingen, und Dr. Christian Schanze, früher Oberarzt am BKH. 'Das Duzen charakterisierte seinen Führungsstil, was aber seiner Autorität keinen Abbruch tat', meinte Schanze über von Cranach. Der erst vor kurzem ebenfalls verabschiedete Chefarzt des Kemptener BKHs, Dr. Albrecht Egetmeyer, betonte, dass die Kaufbeurer Psychiatrie-Ambulanz im dritten Quartal 1981 mit 60 Patienten begann. 'Heute sind es 2000 pro Quartal in Kaufbeuren. Nun hast Du Dich selbst ambulantisiert', sagte er in Anspielung darauf, dass von Cranach in München eine Praxis eröffnen werde. Der Leiter der Kaufbeurer Institutsambulanz, Dr. Juan Valdes-Stauber, hob wie andere Redner von Cranachs Einsatz um die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen in der Kaufbeurer und Irseer Psychiatrie hervor. 'Die zentrale Führungskraft des größten Arbeitgebers der Stadt wird verabschiedet', so Kaufbeurens Dritter Bürgermeister Ernst Holy. Er nannte von Cranach einen wichtigen Botschafter humaner Psychiatrie - 'aber auch für unsere Stadt'. Verwaltungsleiter Manfred Bradel betonte, von Cranach habe stets die bestmögliche Patientenversorgung, aber auch Verantwortung für die Mitarbeiter, im Auge gehabt. Pflegedirektor Bertram Sellner meinte launig und unter Beifall: 'Michael, Du warst 26 Jahre Rock'n'Roll für die Klinik.' Der Personalratsvorsitzende Wolfgang Heinlein betonte: 'Chefarzt und Demokratie, das passte bei Ihnen zusammen - hing aber manchmal vom Thema und der Tagesform ab.' Ein geflügelter Satz von Cranachs sei gewesen: 'Lasst uns mal zusammen fassen, wie ich es sehe.'