Von Thilo Jörgl, Bertoldshofen/Schwangau/Kaufbeuren Würden Theresia Blöchl (90) aus Schwangau und Margarete Bernich (89) aus Hausen bei Bertoldshofen zusammentreffen und über ihre Zuhause reden, kämen beide wohl schnell auf ein Thema: den Forggensee. Jenen 17 Quadratmeter großen, künstlich errichteten Wasserspeicher, der im Sommer vor 50 Jahren das erste Mal voll gelaufen ist. Seither dient er als Hochwasserschutz, vor allem aber als Energielieferant für den Konzern 'Eon'. Das Unternehmen ist Nachfolger der Bayerischen Wasserkraft AG (BAWAG), die 1940 als Trägerin des Forggensee-Kraftwerks gegründet worden war. Säßen sich die beiden Seniorinnen gegenüber, kämen sie beim Thema Forggensee wohl zu recht unterschiedlichen Ansichten. Denn: Für die eine steht der See für den Verlust der Heimat, für die andere ist er Grundstein einer neuen Heimat geworden. Doch der Reihe nach:
See verschlang 50 Häuser Als 1954 der Speichersee geflutet wurde, gingen darin drei Dörfer unter: Brunnen, Forggen und Deutenhausen. 50 Wohnhäuser versanken im See - darunter der Hof, auf dem Theresia Blöchl groß geworden war. Noch heute tut es ihr 'sehr weh', wenn sie an den Zwangs-Umzug denkt. Nie, gar nie wollte sie weg von Forggen, wo es 'alle Alpenblumen gegeben hat - bis auf Edelweiß'. Mit Geld waren sie und ihre Familie zwar für den Umzug entschädigt worden. Über den Verlust der Heimat konnte Geld ihr aber nicht hinweghelfen. Positives verbindet dagegen Margarete Bernich mit dem Speichersee. Sie lebt heute in Hausen bei Bertoldshofen mit der Familie ihres Sohnes Gunter in einem Haus, das man als 'Forggensee-Haus' bezeichnen könnte. Warum? Jeder Ziegel - von einem Anbau mal abgesehen - des Hauses stammt von einem Gebäude, das bis 12. Oktober 1952 in Deutenhausen unweit von Forggen gestanden hatte. Das Anwesen der Bernichs ist keine Ausnahme. Insgesamt 14 Häuser in Hausen, Bertoldshofen und Marktoberdorf sind 'Forggensee-Häuser'. Alle wurden binnen Tagen in Deutenhausen abgerissen, auf Lastwagen geladen und rund um Marktoberdorf wieder aufgebaut. 'Mein Mann hat jeden Stein, jede Dachplatte abgeklopft und ganz vorsichtig in Hausen wieder abgeladen', erinnert sich Bernich, die heute noch im Dachgeschoss unter Balken 'made in Deutenhausen' schläft. Eigentlich hätten sie und ihr Mann Walter gar nicht bauen können. 'Wir waren 1946 mit über 400 weiteren Vertriebenen in Marktoberdorf angekommen und hatten nichts außer zwei Koffern'. Und die Lage änderte sich bis 1952 nur unwesentlich. Mit zwei Kindern wohnten die Bernichs bei einer Bauernfamilie - genauer gesagt: Die Bernichs hausten in Hausen. In einem einzigen Raum, 16 Quadratmeter groß. 'Aber wir waren froh, nach der Vertreibung aus dem Sudetenland überhaupt untergekommen zu sein.' Wie die Bernichs lebten in den 'Hungerjahren' Ende der Vierziger viele in Bertoldshofen. '1950 gab es 28 Elendsquartiere mit mindestens drei Personen in einem Raum.' Das notierte damals Flüchtlingsvertrauensmann Johannes Gehrmann in eine Akte. Dass die Bernichs und ein Dutzend weitere Familien ihre 'Forggensee-Häuser' bauen konnten, hatten sie vor allem einem zu verdanken: Theodor Momm, Inhaber der gleichnamigen Spinnerei in Kaufbeuren. Er wohnte selbst in Hausen. 'Er hatte ein sehr großes Herz für uns Vertriebene', erzählt Margarete Bernich. Wie groß sein Herz war, steht in der Allgäuer Zeitung vom 19. Dezember 1952. 'Er setzte sich mit der BAWAG in Verbindung und erwarb mit deren Einverständnis 14 Abbruchhäuser.' Einige tausend Mark soll der Unternehmer mit Herz für die Anwesen bezahlt haben. 'Und wir mussten Momm keinen Pfennig für die Abbruch-Häuser bezahlen', sagt Bernich. Zement kaufte ihr Mann Walter auf Pump bei einer Marktoberdorfer Baufirma. Nur mit einer Schaufel hob er den Keller aus. 'Und fast alle Werkzeuge hatten wir aus Geldmangel nur geliehen.' Aufwärts ging es erst, als ihr Mann Arbeit bei der Traktorenfirma 'Fendt' gefunden hatte. Doch auch als die Familie etwas Geld hatten, wollte Momm nichts zurück. Bernich: 'Er war ein toller Mann, der vielen für einen Händedruck geholfen hat.'