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Ein Weg, der aus der Trauer herausführen kann

Sonthofen

Ein Weg, der aus der Trauer herausführen kann

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    Ein Weg, der aus der Trauer herausführen kann
    Ein Weg, der aus der Trauer herausführen kann Foto: jÖrg schollenbruch

    Eigentlich hat sie den Abschiedsbrief ihres Sohnes, der sich mit 41 Jahren das Leben nahm, zusammen mit ihrer Therapeutin schon zu Ende lesen wollen. Doch dann zeigte ihr ein Traum auf: "Ich bin noch nicht soweit." 61 Jahre alt ist Dorothea Steger, ihren schrecklichen Verlust erlitt sie am 2. Oktober 2007. Dass das Gefühl des Erstarrtseins, des Lebens in der Depression, langsam wich, führt sie auf den Weg zurück, den sie für sich gefunden hat: stundenlang gehen.

    Seit 1991 ist Dorothea Steger mit der Hospizarbeit vertraut. Vom Kopf her wusste sie, durch ihre Ausbildung und die vielen Begleitungen Sterbender und Hinterbliebener, was Trauer aus einem Menschen machen kann. Aber wie sie sich anfühlt, wie es ist, zwischen Aufwachen oder das Leben beenden wollen zu existieren, das konnte sie vor ihrem Verlust nicht wissen.

    Eineinhalb Jahre lebte sie in der Starre. Dass sie überlebte, liegt wohl auch an dem Satz, den ihr jüngerer Sohn nach dem Tod seines Bruders Stefan zu ihr sagte: "Lass uns das nicht noch mal erleben." Nein, ihrer Familie durfte sie nicht noch einmal solch einen Schmerz, so einen gewaltsamen Tod zufügen. Die 61-Jährige begab sich in fachmännische Behandlung, um aus dem Grenzbereich zum Wahnsinn herauszukommen. Wie gelähmt fühlte sie sich, vergaß Termine trotz der Merkzettel, die sie in der Wohnung deponierte.

    Mit 17 wurde ihr Sohn Stefan nach einem Badeunfall querschnittsgelähmt. Das ganze Leben hat die Familie danach umgekrempelt, ein behindertengerechtes Haus auf dem Grundstück der Großeltern gebaut. Der junge Mann fand sich nach und nach mit seinem Schicksal ab, erzählt die Mutter. Er war berufstätig, hatte eine Lebensgefährtin - "und so viel Lebensfreude".

    Die verließ ihn, als er nach einer Untersuchung annahm, er hätteNierenkrebs. Gesprochen hat er darüber mit niemandem, eine weitere Untersuchung scheute er. "Er ist wohl in eine Depression gefallen, die unbehandelt in Suizid enden kann", vermutet Dorothea Seger. Auch ihre Seele konnte nach Jahren des eigenen Kampfs gegen lebensgefährliche Krankheiten den Schicksalsschlag nicht mehr verkraften.

    Auf dem Weg ihrer täglichen Wanderungen mit ihrem Hund Joy, der wieder Freude in ihr Haus bringen sollte, begegnete sie zufällig anderen Trauernden. Immer wieder mal gingen sie zusammen. Als dann auch noch eine 30-Jährige, die ihren Partner verloren hatte, von ihrer Abneigung gegen Gesprächskreise zur Trauerarbeit berichtete, kam Dorothea Steger auf die Idee: Im Herbst will sie zusammen mit dem Hospizverein Gehgruppen für mobile Trauernde anbieten.

    Gemeinsam soll zwei oder drei Stunden gelaufen werden - nicht gejoggt. "Das Gehen ist auch Sinnbild dafür, auf dem Weg zu sein, auf dem Lebensweg, manchmal ein Kreuzweg, auch ein Ausweg", sagt die 61-Jährige. Eines Tages wird sie wohl auch den Abschiedsbrief ihres Sohnes zu Ende lesen.

    Gehgruppen für Trauernde werden der Hospizverein Kempten, 0831/27279 und Sonthofen, Dorothea Steger, 08321/84435 gründen. Weitere Anlaufstelle für Suizidhinterbliebene im Allgäu: 0831/68115 oder 0170/7806261

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