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Ein tiefer Blick in die Seele

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Ein tiefer Blick in die Seele

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    Von Hans-Christian Rudolf Immenstadt Seine Berufung für ein Leben im Rampenlicht erkannte das Bühnen-Alter-Ego des Kabarettisten Martin Großmann als Germanistik-Student in Passau. Du bist ja so witzig, habe ihm eine Studentin ins Ohr gesäuselt, fast wie der Michael Mittermeier. Doch wie der Mittermeier vor 5000 Leuten im Münchener Circus Krone zu spielen, das kann doch jeder, packt den Niederbayer während seines furiosen Programms Zeltwache in der Hofmühle die Großmann-Sucht: Aber vor 40 Leuten in Immenstadt aufzutreten, so wie ich, da geht der unter. Als Lehrer ist der Bühnen-Großmann nach seinem Studium zurückgekehrt an den Ursprung allen Schreckens in die Provinz nach Hengersberg, wo der neue Pfarrer aus Hamburg glaubt, an die Bäume getackerte Katzen seien ein altes niederbayerisches Ritual. Und etwas gelten möchte der Großmann in seiner Heimat - wenn schon nicht als gefeierter Fußballer, dann wenigstens als Kabarettist. Nun hält der Ersatzspieler Zeltwache am Festzelt auf dem Sportplatz. Dafür darf er bei der 100-Jahr-Feier seines Fußballvereins TSV Hengersberg für einen 20-minütigen Kabarett-Auftritt auf die Bühne der Rahmen für eine kraftvolle, derb-komische und phasenweise gar morbide Vorstellung des bayerischen Studententheater-Preisträgers. Im Stil von Gerhard Polts Grantel-Monologen zieht Großmann über das kranke Dorf her und schlüpft tobend oder jammernd in die Rollen der Bewohner. Da ist etwa der Hartl-Bauer, der von der Milchwirtschaft auf Asylanten umgestellt hat, weil eine Kuh nie so viel Geld bringt wie ein Neger, und dabei die automatische Fütterungsanlage in Betrieb bleiben kann. Und da ist der Vereinsboss, Bauunternehmer und Gemeinderat, der für Feste und Beerdigungen tschechische Stripperinnen anheuert.

    Während Großmann die Charaktere seines Typen-Kabinetts karikierend überzeichnet, verleiht er seinem Alter-Ego verblüffend individuelle Züge, die den Zuschauer in der ohnehin intimen Atmosphäre der Hofmühle in dessen tiefe Seelen-Abgründe blicken lassen. Großmann lässt das politisch-sozialkritische Kabarett hinter sich und schwenkt über zur Tragikomik des menschlichen Seins. Das Programm wird fast zur Selbsttherapie, wie der Bühnen-Großmann selbst feststellt: Durch das Kabarett möchte ich nur meine persönlichen Defizite ausgleichen, sagt meine Psychologin zum Beispiel, dass ich im Schulbus immer stehen musste. Groß und visionär waren stets die Pläne, die Großmanns Bühnen-Ich als Kind und Jugendlicher in seinem niederbayerischen Heimatort Hengersberg schmiedete. Weg von do, wollte er. Raus aus dem Dunst der provinziellen Mauscheleien und in einen anderen Kulturkreis mit einer anderen Sprache wollte er und zog nach Passau. Stellen wollte er sich den verlogenen Heucheleien der engstirnigen Gesellschaft als eine Art Sokrates des Kabaretts. Doch Großmann verlor alle Träume, als das Feuilleton seine 89-jährige Geliebte und ihre Schnarch-Performance als Allegorie auf die politischen Zustände in Deutschland feierte: Die Kabarettisten wollen politische Veränderungen? Alles Scheißdreck Weiber müssen her. Nach all den Enttäuschungen habe er einen langen Spaziergang am Nordseestrand gemacht und tief in sich hineingehorcht. Doch finden tut der Hengersberger dort nichts, erkennt er. Und erst nachdem Großmann während der Zeltwache von einem eingewanderten russischen Zirkusbären erschossen worden ist, bringt der Vereinschef beim Begräbnis die ganze Tragik von Großmanns Lebens auf den Punkt: Er hat seit 25 Jahren kein Training verpasst. Und trotzdem hat es nie für die erste Mannschaft gereicht.

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