Schwangau(bil). - 'Ich glaube, dass man Schloss Neuschwanstein einfach gesehen haben muss', sagt Irene Bauer im Innenhof des von König Ludwig II. erbauten 'Märchenschlosses.' Deshalb fuhr die 29-Jährige aus Braunau am Inn gestern eigens nach Hohenschwangau bei Füssen. Am Ticket-Verkauf dann die große Überraschung: Sie ist die 50-millionste Besucherin auf Neuschwanstein. Bayerns Finanzminister Kurt Faltlhauser, der oberster Dienstherr der Bayerischen Schlösserverwaltung, bezeichnete gestern Neuschwanstein als unangefochtenen Besuchermagneten der 45 Schlösser, Burgen und Residenzen, die dem Freistaat unterstellt sind. Das sei freilich nichts Neues, stellte der frühere Kastellan (eine Art Schlossdiener), Josef Enzensperger, schon zwei Stunden vorher fest. Der 68-Jährige hat dort 36 Jahre als Führer gearbeitet und später als Kastellan den Ablauf der Führungen organisiert. Fast elf Jahre lang wohnte er sogar auf dem Schloss. Dass er jedes historische Dokument über Neuschwanstein sammelt, versteht sich von selbst. Aus einem dieser Dokumente weiß Enzensperger, dass schon 1886 im ersten halben Jahr nach Ludwigs Sagen umwobenen Tod im Starnberger See 18000 Menschen die königlichen Gemächer angeschaut haben. Als er selbst 1964 seine erste Gruppe durch das Schloss führte, waren es schon 430000 Besucher pro Jahr, so der Pensionär. Der größte Unterschied zu den heutigen Besuchern war: 'Damals haben die Menschen mehr Zeit gehabt.' Es sei kein Problem gewesen, wenn die Besucher mal 50 Minuten warten mussten, weil es im Winter nur einmal pro Stunde eine Führung gab. Und wenn in Ludwigs Schlafzimmer Möbel fehlten, weil man sie gerade renovierte, habe sich auch keiner beschwert. Zu dieser Zeit hätten die Führungen teilweise 45 Minuten gedauert und man sei mit den Gruppen noch auf den Balkon des Schlosses gegangen. 'Das kann man sich heute gar nicht mehr leisten bei dem Andrang', sagt Enzensperger. Heute ist nach 20 bis 30 Minuten alles vorbei.
Den absoluten Höhepunkt an Besuchermassen erlebte der 68-Jährige nach dem Fall der Mauer Anfang der 90er Jahre. 1,4 Millionen wurden damals pro Jahr durch das Schloss geschleust. 'Da ging's rund', erinnert er sich. In der Hochsaison hätten sich oft 500 bis 600 Besucher im Innenhof gedrängt. Dass da nicht nur angenehme Zeitgenossen vor der Schlosspforte standen, liegt auf der Hand. Einer habe sich mal beschwert, weil die Führung um 10 Uhr starten sollte und eine Minute später noch nicht begonnen hatte. 'Der hat gesagt: Sie bringen meinen ganzen Tag durcheinander', erinnert sich der frühere Kastellan noch heute und meint 'da stumpft man schon ab'. Über die nervigste Frage, die er je beantworten musste, schüttelt der ehemalige Kastellan aber bis heute den Kopf. Die stellte ein Gast am Ausgang, am Ende der Führung. Er wollte wissen, in welchem Schloss er gerade war. 'Da zieht's dir d'Schuh aus', meint Enzensperger. Die besten Betragensnoten stellt er den Asiaten und Amerikanern aus. 'Man hört kaum, dass die sich beschweren.' Damit täten sich eher Italienern, Spaniern und vor allem deutsche Besucher hervor. Gemeckert wurde zu Enzenspergers Zeiten vor allem wegen der langen Schlagen vor dem Kassenhäuschen und vor dem Tor. Zumindest die vor dem Einlass seien aber geschrumpft, seit der Kartenverkauf in den Ort umgezogen ist und die Besucher dort schon die Zeiten ihrer Führung ausgehändigt bekommen, so der Schwangauer. An der Kasse hat Irene Bauer auch erfahren, dass sie die 50-millionste Besucherin des Königsschlosses ist. Dabei wollte sie ursprünglich schon am Montag nach Füssen fahren. Dass sie erst gestern dort war brachte ihr aus den Händen den Finanzministers eine Jahreskarte der Schlösserverwaltung, einen Gutschein für das Musical Ludwig² und einen Hotelgutschein ein.