Dieses Wochenende wird ein Knochenmarkspender für den kleinen Luis gesucht. Das sechs Monate alte Baby aus Probstried (Oberallgäu) leidet wie berichtet an einer schweren Form der Leukämie. Einer, der die Gefühle und Beweggründe eines Knochenmarkspenders aus eigener Erfahrung kennt, ist unser Redakteur Etienne le Maire. An dieser Stelle spricht er darüber:
Du hast Knochenmark gespendet? Für einen Verwandten? Nein? Ach, irgendjemand, irgendwo. Den kennst du doch gar nicht. Ein Fremder. Was geht dich der an? Warum du?
Weil ich ein guter Mensch sein wollte. Weil einer Hilfe brauchte, und ich da war. Weil man B sagen muss, wenn man A gesagt hat. Es gibt viele Gründe, die irgendwie stimmen und doch wieder nicht. Wegen Robin ganz sicher. Vier Jahre alt war er, da schlug die Diagnose Leukämie in sein Leben ein. Warf seine kleine Welt um. Stürzte seine Familie in ein zerreibendes Hin und Her zwischen Zuhause und Klinik, zwischen Hoffnung und Angst. Für den Buben aus dem sächsischen Plauen lief 1993 eine der ersten großen Typisierungs-Aktionen. Die Deutsche Knochenmarkspenderdatei hatte sie auf die Beine gestellt. Ich war am Rand dabei als junger Mitarbeiter der örtlichen Zeitung.
Wir begleiteten die Spendersuche. Machten die Bitten seiner Eltern und die Verzweiflung öffentlich, um zu helfen. Pflanzten Robin unseren Lesern ins Herz mit seinem kahlen Kopf und seinen großen Augen. Tapferer kleiner Kämpfer. Kein Raum für journalistische Distanz: Vielleicht wäre ich der Richtige? Dann stand ich in der Schlange. Fremde Menschen füllten Fragebögen aus. Ließen sich ein paar Tropfen Blut abnehmen und sich typisieren. Alte, Junge, Ossis, Wessis, Hinz und Kunz und ich im Wettlauf gegen Zeit und Wahrscheinlichkeit.
Robin ist stolz, ein Löwe zu sein
Robin ist stolz, ein Löwe zu sein - das hatten wir über den Bericht zu seinem fünften Geburtstag geschrieben. Löwe war sein Sternzeichen. Sein Vater hatte ihm damit Mut gemacht. Gefeiert hat Robin im Krankenhaus. Mit dem Stofftier im Arm in diesem Klinikzimmer voller Kabel, Lämpchen und Geräte. Das Foto sehe ich heute noch vor mir und könnte heulen. Ein paar Tage später ist Robin gestorben.
Das war so elend. Ohne Sinn. Wofür der ganze Rummel? Ja, sicher: Viele Spender mehr wurden registriert. Viele Menschen waren sensibilisiert für etwas, an dem man sonst vorbeischaut. Und wir hatten es jedenfalls versucht. Alles richtig. Aber Robin war tot. Viel habe ich ja gar nicht gewusst von ihm. Aber ich kann um diesen Fremden trauern. Dann kann ich doch auch für Fremde Knochenmark spenden. 16 Jahre ist das her.
Die Zettel von der Typisierung waren längst im Altpapier. An Robin dagegen musste ich immer wieder denken. Als meine Tochter krank zur Welt kam - kein Krebs, aber auch schlimm - und überlebte. Jedes Mal, wenn einer meiner Buben gesund seinen fünften Geburtstag feierte. Froh. Und traurig: als mein Onkel an Krebs starb, später ein guter Freund und ein lieber Kollege. Keine Fremden.
Vor ein paar Monaten hat sich dann plötzlich die DKMS gemeldet: Ihre Daten passen. Wir brauchen Sie. Sind Sie bereit? Naja, klar. Ja! Auserwählt! Gefunden unter Millionen von einem modernen Computerzentrum in Ulm. Hurra, ich rette ein Leben!
So großartig war meine persönliche Heldentat dann gar nicht. In Vollnarkose. Bestens versorgt in der Entnahmeklinik in Nürnberg. Nur ein kleines Teil in einem perfekt organisierten Netzwerk. Sechs Tage keine Arbeit bei vollem Lohnausgleich. Keine Schmerzen. Ein paar Tage kurzatmig, weil ein guter Liter Blut fehlte. Mein Hund, der mitleidig umschaute, wo ich denn bliebe beim Joggen. Vier verblassende Punkte am Becken. Mehr war das nicht. Und trotzdem: so ein gutes Gefühl, ein wirklich tolles Gefühl. Da lebt ein Mensch, der sonst sterben müsste. Und ich habe ihm geholfen.
Nicht ihm. Ihr: 28, eine junge Frau in Amerika. Mehr erfährt man erstmal nicht. Das macht aber nichts. Ich drücke die Daumen, dass sie es schafft. Mit meinem Immunsystem - da hat sie einen Sechser im Lotto erwischt, meint meine Frau. Und was für ein Wunder sind diese Stammzellen: Ein paar Millionen hochaktive Winzlinge, aus meinen Knochen gesaugt, flogen um die Welt. Passten perfekt in einen anderen Körper. Wussten genau, was sie dort zu tun hatten. Und retteten ihn. Irr.
Für zwei Jahre reserviert
Fremd? Nein: Ich und mein Blut, meine Knochen und Zellen sind jetzt zwei Jahre reserviert für meinen genetischen Zwilling. Falls sie noch einmal Stammzellen braucht, Leukozyten oder was auch immer. Irgendwann ist ein anonymer Kontakt möglich. Und nach zwei Jahren können wir uns kennenlernen, wenn sie will.
Dann sage ich ihr, warum ich mitgemacht habe. Erzähle ihr von dem tapferen kleinen Kerl, der mich und so viele andere bewegt hat. Dem sie das alles verdankt. Robin, kleiner Löwe, ein Mensch lebt wegen dir.