Als Friedhelm Olschewski aufwacht, ist seine Kehle blockiert, aber sein Brustkorb hebt und senkt sich. Aus seinem Mund ragt der Schlauch eines Beatmungsgeräts. In der 30 Zentimeter langen Naht in der Brust stecken Plastikröhrchen, durch die Blut und Wundflüssigkeit abfließen. Aus Infusionsflaschen tröpfeln Medikamente in eine Kanüle am Handgelenk. Olschewski hat die Operation überlebt. In ihm schlägt ein neues Herz, das ihm die Ärzte in der Klinik Großhadern eingesetzt haben. Es ist der 13. Dezember 1997. Der Tag, an dem Olschewskis zweites Leben beginnt.
Im März 1998 geht es ihm so gut, dass er wieder bei seinem Heimatverein SSV Wertach in der 1. Kreisliga Tischtennis spielt. Bei den deutschen Meisterschaften der Transplantierten zwei Monate später in Freiburg holt sich der selbst ernannte "Tischtennis-Verrückte" den Titel. In den folgenden Jahren nimmt er an Europa- und Weltmeisterschaften für Transplantierte teil, holt neun EM- und zwei WM-Titel. In seiner Freizeit widmet er sich seinem zweiten Hobby neben dem Tischtennis. Olschewski sammelt Oldtimer und verkauft sie wieder.
Zwölf Jahre nach der Transplantation trainiert Friedhelm Olschewski in der Wertacher Turnhalle mit den Tischtennis-Kollegen des SSV. Seinem Vereinskollegen schmettert der drahtige 71-Jährige die Bälle um die Ohren oder setzt das Spielgerät unerreichbar für den Gegner knapp hinters Netz.
Der mittlerweile pensionierte Friedhelm Olschewski hängt an seinem zweiten Leben. Mit jeder Faser seines Herzens.
Ins Allgäu gezogen
Es war im März 1992, als der damals 53-jährige Vater von drei erwachsenen Kindern das erste Mal merkt, dass mit seinem Herzen etwas nicht stimmt. Damals war er kaufmännischer Angestellter und lebte in Rheinlandpfalz. Nach einer Herzmuskel-Biopsie im Frühjahr 1995 im Bundeswehr-Krankenhaus in Koblenz, bei der Gewebe entnommen wird, sagt ihm der Professor, dass das Herz aufgrund von krankhaft veränderten Muskelstrukturen gewachsen ist. Er schlägt vor, Olschewski vorsorglich auf die Transplantationsliste zu setzen.
Im Mai 1995 sucht der 56-Jährige eine neue berufliche Herausforderung, zieht mit Frau Margret nach Oberjoch und übernimmt als Heimleiter das Leistungszentrum des rheinland-pfälzischen Verbandes mit 60 Betten.
Am 13. Juli 1997 spürt der 58-Jährige plötzlich einen heftigen Schmerz in der rechten Brust. Im Sonthofer Krankenhaus sagen ihm die Ärzte, dass er eine Lungenembolie hat und dringend ein neues Herz braucht. "Als grenzenloser Optimist war ich das erste Mal richtig geschockt", sagt Olschewski.
Todesurteil in Großhadern
Als sein Herz fast nicht mehr pumpt, wird er am 27. November nach Großhadern gebracht. Der Oberarzt sagt ihm, dass er ohne ein Spenderherz das Jahr nicht überleben wird. Er kommt auf die Dringlichkeits-Liste des Transplantations-Netzwerks Eurotransplant für Organspenden. In Deutschland werden im Jahr rund 400 Herzen implantiert, 600 bis 800 Menschen warten auf ein neues. Jeder Fünfte stirbt, während er wartet.
Am 6. Dezember klingelt gegen sechs Uhr abends das Telefon. Ein neues Herz stehe für den Schwerkranken bereit, heißt es aus Großhadern. Dort teilt ihnen dann ein Arzt bei der Aufnahme mit, dass das Spenderherz nicht gesund und deshalb ungeeignet für eine Transplantation sei. "Ich war mit den Nerven völlig am Ende", sagt Margret Olschewski.
Friedhelm Olschewski bleibt in Großhadern und hofft, dass er bald mehr Glück hat. Irgendwann fällt ein Netzroller auch mal ins gegnerische statt ins eigene Feld, weiß er. Es ist fünf Uhr früh, als Friedhelm Olschewski am 13. Dezember 1997 erfährt, dass ein zweites Herz für ihn gefunden wurde. Es ist das Organ eines jungen Mannes, der ein paar Stunden zuvor bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.
Das neue Herz schlägt kräftig
Sein neues Leben beginnt sechs Stunden später. Als er am Nachmittag aufwacht, fühlt er, wie sein neues Herz kräftig und gleichmäßig schlägt. Dieser Augenblick war für ihn wie ein "verwandelter Matchball ins zweite Leben".