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Ein Ganztagsjob im Ehrenamt

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Ein Ganztagsjob im Ehrenamt

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    Marie-Luise Haußer: Vorreiterin für Frauen in der Politik im Oberallgäu Burgberg (wir). Jedes Ding hat seine Zeit, entgegnet Marie-Luise Haußer mit Gelassenheit der Frage, wie es sich leben lässt plötzlich so ganz ohne politische Aufgaben. Immerhin ist die Burgbergerin 32 Jahre lang über die kommunalpolitische Bühne gewirbelt und hat als eine der ersten Frauen überhaupt in Gemeinde- und Kreisparlamenten ihren Kollegen nachdrücklich gezeigt, dass sie Familie und Politik zu vereinbaren weiß. Rückblickend glaubt sie, zunächst als Frau und als Zugereiste mit zwei großen Handicaps behaftet gewesen zu sein. Der Umzug ins Allgäu in den 60er Jahren sei für sie fast ein Kulturschock gewesen, erinnert sich die ehemalige Vize-Landrätin heute schmunzelnd. Immerhin hatte sie bis dahin berufliche Lorbeeren als Journalistin und nach dem Volkswirtschaftsstudium auch in der Industrie verdient, genoss den Trubel in Stuttgart. Umso krasser war der Schnitt, als die junge Mutter dem Ehemann folgte, als den der Beruf nach Sonthofen führte. Und da saß ich nun, mitten im Allgäuer Winter mit einem kleinen Sohn und meinem Talent, lacht sie. Dass diese Einsamkeit nicht lange währen konnte, ahnt, wer die Haußerin ein wenig kennt. Der Sohn besuchte den Kindergarten in der Schützenstraße, im gleichen Haus residierte damals die Lebenshilfe, deren Angebote Marie-Luise Haußer neugierig machten auf Fragen der Behindertenangebote und Sonderpädagogik. Mit Öffentlichkeitsarbeit professionell vertraut, machte sie sich mit Eifer an die Imagepflege für Benachteiligte. Schließlich wurde Landrat Theo Rössert aufmerksam auf die aktive Mutter, fragte, ob sie nicht helfen könne, auch die damals anstehende Kreisgebietsreform medienwirksam zu verkaufen. Damals spürte sie noch die schweren männlichen Vorurteile gegenüber einer Frau in der Kommunalpolitik. Wenns gut geht, ist es gut, und wenns schlecht geht, ist die Schuld, erinnert sie sich an die Kommentare der hohen Herren der Gemeindepolitik.

    Ganz nebenbei erzählt sie noch von ihrer Arbeit als Lehrerin für Deutsch und Wirtschaftskunde am Gymnasium Sonthofen. Das war Anfang der 70er Jahre, als der Lehrermangel sich empfindlich an den Schulen auswirkte und unkonventionelle Lösungen forderte. Der damalige Rektor fragte an, ob sie sich vorstellen könne, zu unterrichten, schließlich sei sie als Journalistin im Deutschen doch bewandert. Marie-Luise Haußer schlug ein und stand kurz darauf täglich vor zwei fünften Klassen, vollgestopft mit je 42 Schülern. Fünf Jahre hat sie das mitgemacht, bezahlt lediglich nach den geleisteten Unterrichtsstunden. Offenbar hat sie diese Erfahrung gestählt: Auch in der Politik musste sie sich durchbeißen, 32 Jahre lang. 1978 zunächst in den Gemeinderat Burgberg gewählt, wo sie die erste und 18 Jahre lang die einzige Frau war. Auch im Kreistag hat sie sich in den drei Wahlperioden einen Namen gemacht, wurde schließlich stellvertretende Landrätin. Und weil sie offenbar noch nicht genug Ehrenämter hatte, übernahm sie auch den Vorsitz der Frauen-Union. Einen Ganztagsjob im Ehrenamt habe sie im Elternbeirat, Pfarrgemeinderat, beim BRK-Kreisverband und beim Kinderschutzbund die vielen Jahre erledigt, was nur gegangen sei, weil ihr Ehemann ihr Engagement stets billigte. Nun soll es ein bisschen ruhiger weiter gehen. Sicher, sie verliert viele Begegnungen, Kontakte mit interessanten Menschen und die Möglichkeit zur Mitgestaltung, meint sie nachdenklich. Aber sie gewinne auch Freiräume. Marie-Luise Haußer freut sich auf viele Wanderungen in der Umgebung, auch auf Fernreisen, auf mehr Zeit für ihre kleine Enkeltochter. Und auf das neue Enkelkind, das im August kommen soll, verrät sie strahlend.

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