Kempten(bih). Die Deutschen lassen sich immer seltener trauen, hat das Statistische Bundesamt in Wiesbaden errechnet. Demnach ist die Zahl der Eheschließungen seit 1988 von 535000 auf 389000 zurückgegangen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Scheidungen in Deutschland kräftig an: Mittlerweile wird fast jede zweite Ehe wieder geschieden. Allerdings nicht in Kempten: Die Zahl der Eheschließung ist weitgehend konstant und auch die Scheidungsrate keineswegs angestiegen. Zwar ist die Zahl derer, die sich in den vergangenen Jahren in Kemtpen das Ja-Wort gaben, auch in Kempten rückläufig, doch sei dies laut der Leiterin des Standesamts, Kerstin Wehlert, nur gering: 'Daran lässt sich keine Richtungsentwicklung feststellen.' Tatsächlich schwanken die Zahlen mit einigen Ausnahmen um rund 330 Eheschließungen pro Jahr. 2001 wurden 319 Paare getraut. Spitzenwerte wie zum Beispiel 381 Hochzeiten im Jahr 1998 erklärt sich Wehlert so: 'In diesem Jahr kamen viele Asylbewerber nach Kempten und ließen sich hier trauen.' Die Kurve der Ehe-Scheidungen weist ein ähnliches Muster auf: So liegt 2001 mit 122 Scheidungen ziemlich genau in der Mitte beim Vergleich der vergangenen zehn Jahre. Damit trotzen die Kemptener der bundesweiten Zunahme an Scheidungen. Diplompsychologe Elmar Schütz, Leiter der Eheberatung der Diözese, traut dem Frieden aber nicht ganz. 'Auch in Kempten könnten sich die Zahlen in absehbarer Zeit dem Großstadttrend von weniger Hochzeiten und mehr Scheidungen annähern', vermutet der Ehe- und Familienberater. In ländlichen Gebieten seien die Familien zwar noch in eine gewisse Ordnung eingebunden. Zudem gebe es mehr Anlaufstellen für Paare, um ihre Probleme in den Griff zu bekommen, weiß Schütz. Doch sei das keine Garantie für einen langfristig positiven Zustand. Eine dieser Anlaufstellen ist die Ehe- und Familienseelsorge der Diözese in Kempten. Sie bietet Kurse für Paare an, bei denen es zu kriseln begonnen hat. Nach Ansicht von Ehe- und Familienreferent Christof Vey entstünden viele Probleme durch mangelnde oder falsche Kommunikation. Außerdem gebe es keine gültigen Vorbilder mehr, so wie noch vor 50 Jahren. In einem Gesprächs-Training könnten die Schwierigkeiten von Ehepaaren überwunden werden.
Frauen selbstbewusster Ein weiterer Grund für die bundesweit steigende Scheidungsrate liege laut Vey in einer veränderten Reaktion der Gesellschaft. Die Gefahr, das Ansehen zu verlieren, weil die Ehe gelöst wird, sei bei weitem nicht mehr so groß wie früher. Das merke man besonders bei Frauen, die derzeit öfter als Männer die Scheidung beantragen. Vey: 'Das Selbstbewusstsein und der Mut der Frauen, den schwierigen Schritt der Trennung zu wagen, sind gestiegen.' Auch der Zeitpunkt der Trennung habe sich geändert. Nicht mehr das 'verflixte siebte Jahr' sei der Knackpunkt. 'Mittlerweile merken die meisten Paare schon nach vier bis fünf Jahren, dass es nicht mehr klappt', erklärt Vey. Verstärkt ließen sich auch Paare nach 20 Ehejahren scheiden. Dann, wenn ihre Kinder größer sind, und sie weniger Rücksicht auf ihren Nachwuchs nehmen müssten.