Am heutigen Freitag tritt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zum EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei an. Über das Verhältnis beider Länder sowie die derzeitige Integrationsdebatte unterhielten wir uns mit Remzi Gönültas (39), türkischer Fußballtrainer in Kempten.
Herr Gönültas, Deutschland gegen die Türkei – ein besonderes Spiel für Sie? Remzi Gönültas: Absolut, nicht nur für mich, sondern für alle im Verein. Bei acht Jungs war es schon fix, dass sie nach Berlin fliegen. Ein paar andere suchen noch Karten. Ich hoffe, dass am Sonntag wieder alle zum Spiel gegen Fischen hier sind. Wenn man als Türke in Deutschland lebt, ist so eine Begegnung natürlich etwas Spezielles. Dazu kommt noch die Tabellensituation. Beide Teams haben sechs Punkte. Die Deutschen hoffen auf Mesut Özil. Sind Sie ihm böse, dass er sich gegen die türkische Nationalmannschaft und für den DFB entschieden hat? Gönültas: Nein, das ist seine freie Entscheidung und die muss man auf jeden Fall respektieren. Vielleicht hat sich der türkische Verband zu spät um ihn gekümmert. Ich denke, für Mesut persönlich war es die richtige Entscheidung. Er konnte mit Deutschland zur WM fahren und dort auf einer großen Bühne auf sich aufmerksam machen. Nach der WM wurde die deutsche Nationalmannschaft als Sinnbild für gelungene Integration gepriesen. Gönültas: Und das völlig zu recht. Der DFB hat rechtzeitig reagiert und verstanden, welches Potenzial da vorhanden ist. Die Nationalmannschaft mit Spielern verschiedenster Herkunft ist das beste Beispiel für Integration. Daran sollte sich die Politik ein Beispiel nehmen. Meine türkischen Freunde und ich haben während der WM mit der deutschen Mannschaft gefiebert. Ich glaube, dass die meisten Türken hier in Deutschland für das DFB-Team waren. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Mesut ein Teil davon war. Wäre es nicht wünschenswert, dass noch mehr türkischstämmige Spieler in der deutschen Nationalmannschaft spielen würden? Gönültas: Vielleicht ein oder zwei andere noch. Ich denke, mehr sollten es nicht sein. Eine deutsche Nationalmannschaft sollte doch überwiegend aus deutschstämmigen Spielern bestehen. Das ist wie im Vereinsfußball. Wenn in einem Klub nur noch Ausländer spielen, passt das nicht. Die Mischung, so wie sie gerade in der deutschen Nationalmannschaft ist, finde ich optimal. Sie selbst sind Trainer der 1. Mannschaft des FC Türk Sport Kempten. Ist ein türkischer Fußballverein überhaupt noch zeitgemäß? Wäre es im Sinne der Integration nicht sinnvoller, die Spieler würden sich den örtlichen Klubs anschließen? Gönültas: Nein, da bin ich anderer Meinung. Manche Spieler kommen mit der Mentalität des deutschen Trainers und umgekehrt nicht klar. Es sollte jedem selbst überlassen sein, wo er spielt. Das hat nichts mit Integration zu tun. Wir haben in unserer Mannschaft zwei Italiener und auch einen Deutschen. Wenn Türksport gegen Waltenhofen oder Oberstdorf antritt, ist das nicht ein Spiel Türkei gegen Deutschland. Das mache ich meinen Jungs immer wieder klar. Sie spielen für den Verein und sonst nichts. Früher war das mal anders. Mit dem Resultat, dass es bei den 'Länderspielen' immer wieder zu unschönen Szenen auf und neben dem Spielfeld kam Gönültas: Die gab es. Aber die Zeiten sind vorbei. Wir Türken sind sehr emotional, temperamentvoll. Man darf nicht immer nur die Schuld auf die anderen schieben, sondern muss sich auch an die eigene Nase fassen. Ich lege als Trainer größten Wert auf Disziplin und das Einhalten von Regeln. Das funktioniert gut. Und es regt sich auch niemand darüber auf, dass ich alle Anweisungen auf Deutsch gebe. Wir haben zwei, drei Spieler, die noch nicht so lange hier sind, denen erkläre ich manchmal noch was auf Türkisch. Einer hat zu mir gesagt, dass er das mit der deutschen Sprache im Training sehr gut findet, weil ihm das hilft, besser Deutsch zu lernen. Insbesondere im Jugendbereich gibt es viele türkischstämmige Spieler in den Allgäuer Klubs. Funktioniert dort die Integration? Gönültas: Im Großen und Ganzen ja. Doch es gibt auch immer mal wieder Probleme. Und die türkischen Kinder sind nicht selten selbst daran schuld. Wenn man diszipliniert ist, sich an Regeln hält und seine Leistung bringt, kommt man in jedem Klub zurecht und wird vom Trainer aufgestellt. Thilo Sarrazin hat eine heftige Diskussion über die Integrationsbereitschaft türkischer Mitbürger entfacht. Gönültas: Ich habe auch mit Freunden im Verein viel darüber gesprochen. In manchen Dingen mag Herr Sarrazin sogar Recht haben. Aber die Wortwahl, die Verpackung sind falsch. Vieles ist übertrieben. Was bedeutet für Sie Integration? Gönültas: Das habe ich mich nach den ganzen Diskussionen selbst schon gefragt. Es bedeutet für mich, dass man sich der Gesellschaft, in der man lebt, anpasst und auf jeden Fall die Sprache lernt. Das ist sehr, sehr wichtig. Aber man sollte seine eigene kulturelle Identität nicht einfach wegwerfen. Es ist doch schön, wenn es in einer Gesellschaft verschiedene Kulturen gibt. Und eine Frau, die ein Kopftuch trägt, ist nicht schon allein deswegen ein schlechterer Mensch.