Von Sibylle Mettler Kempten - Vor Robert Weichenmeier liegt eine klobige Brille auf dem Tisch. Wer sie aufsetzt, nimmt von Weichenmeiers freundlichem Gesicht nur mehr eine helle Fläche war, mit dunklen Flecken an den Stellen seiner Augen und seines Barts. Die Brille simuliert eine Augenerkrankung. Sie verschlechtert die Sehleistung um 90 Prozent. Weichenmeier selbst kann nur etwa fünf Prozent sehen. Er ist Leiter der Bezirksgruppe Allgäu im Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund. Sie feiert heute in Kempten ihr 75-jähriges Bestehen. Als Vorsitzender spricht der Kemptener für 510 Menschen im Allgäu, die weniger als 30 Prozent sehen können und im Blindenbund organisiert sind. Die meisten von ihnen haben ihr Augenlicht im Seniorenalter durch eine Erkrankung eingebüßt, erklärt Weichenmeier. Vor allem Diabetes und die Makular-Degenation, eine Netzhauterkrankung, führten dazu, dass Menschen im Alter fast blind werden. Viele Betroffene belügen sich selbst, wollen das gar nicht wahrhaben, weiß Weichenmeier. 'Im Alter ist es natürlich wahnsinnig schwer, noch Blindenschrift zu lernen', sagt er. Und berichtet von einer 80-Jährigen, die es dennoch geschafft hat. Mitglieder, die von Geburt an ganz blind oder wie er selbst sehbehindert sind, gebe es wenige. Vor allem dank Fortschritten in der Medizin. Kinder, die heute mit Grauem Star, einer Eintrübung der Linse, geboren werden, könnten nach Operationen und mit der richtigen Brille heute ein relativ normales Leben führen, erläutert Weichenmeier. 'Ich wurde 50 Jahre zu früh geboren', fügt er hinzu.
Hätte es die Operationstechniken von heute zu seiner Geburt schon gegeben, wäre der 51-Jährige heute nicht fast blind. Kinder, die heute mit einer Sehbehinderung zur Welt kommen, wachsen auch ganz anders auf als Weichenmeier. Er besuchte noch als Internatsschüler die Landesblindenschule in München. Die gibt es gar nicht mehr. Heutzutage stehe Integration im Vordergrund und blinde Kinder besuchen die selbe Schule wie sehende. Ob die Extra-Stunden für Sehbehinderte ausreichen, um ihnen Blindenschrift beizubringen? Die Kinder tun sich oft schwer sagt Weichenmeier und fügt hinzu: 'Man muss eine sehr starke Persönlichkeit sein, um das auszuhalten.'Besonders schwer sei es auch für Sehbehinderte, einen Arbeitsplatz zu finden. Die klassischen Handwerkstätigkeiten in Blindenwerkstätten gebe es kaum noch. Auch in den Telefonzentralen von Behörden und Firmen arbeiteten mit zunehmender Technisierung immer weniger Blinde, sagt Weichenmeier, der selbst Telefonist im Kemptener Gericht ist. Er kennt aber auch Sehbehinderte, die als Programmierer oder Bürokauffrau arbeiten. Möglich machen das Hilfsmittel wie die so genannte Breilzeile, die den Bildschirminhalt Zeile für Zeile in Blindenschrift zum Abtasten wiedergibt, oder Programme, die Schriftstücke vorlesen. Das Leben erleichtern Sehbehinderten beispielsweise auch Bildschirm-Lesegeräte, die die Schrift vom Papier einlesen und in extrem großer Vergrößerung wiedergeben. Helfend stehen aber auch die Mitarbeiter der Kemptener Bezirksstelle des Blinden- und Sehbehindertenbundes zur Seite. Sie machen Hausbesuche und lernen Betroffenen, wie sie sich trotz Sehbehinderung in ihrer Wohnung zurechtfinden und füllen Anträge und Formulare aus. Der Blindenbund leiht zum Erproben zahlreiche Hilfsmittel aus und beliefert Sehbehinderte mit Lokalausgaben unserer Zeitung auf Tonkassette. Und er macht Sehende an Ständen über die Probleme Blinder aufmerksam. Beispielsweise mit der Brille, die 90 Prozent der Sehleistung raubt. i Die Bezirksgruppe Allgäu des Bayerischen Blindenbundes ist für Auskünfte unter der Telefonnummer (0831) 23310 zu erreichen.