Füssen (wil). - Am 28. April 1945 erreichten die 10. US-Panzerdivision und das 71. Infanterieregiment Füssen. Die Stadt konnte durch die Vernunft von Persönlichkeiten wie Landrat Ludwig Abenthum und Karl Rothärmel unzerstört übergeben werden, die Kriegshandlungen waren für Füssen zu Ende. 'Wir wollen die Ereignisse aufarbeiten, die noch in der Bevölkerung lebendig sind,' sagte Magnus Peresson einleitend beim Hoagarte von 'Alt Füssen', zu dem sich so viele Gäste eingefunden hatten, dass noch Stühle herbeigeschafft werden mussten. Es wurde ein echter Hoagarte mit großer Bereicherung durch Beiträge aus dem Publikum. Die vier Referenten, Cilly Kahle, Georg Doser, Eduard Schropp und Oskar Lützow hatten das Kriegsende als Kind, Jugendlicher oder Erwachsener erlebt. Einer der Retter der Stadt, die den Amerikanern am Morgen des 28. April in zwei Abordnungen entgegenfuhren war der damals 30-jährige Georg Doser. Bei Roßhaupten, bei der Achbrücke übergab er mit Xaver Filser, Reinhold Koller und Josef Srb die Stadt - so wie die zweite Gruppe bei Pfronten. ' Wenn noch ein einziger Schuß fällt, liegt Füssen in Schutt und Asche', die Aussage des US-Kommandeurs war deutlich. 'Des wird ja nett,' dachte sich Doser, als er den Panzern in die Stadt vorausfahren musste und die Sprengung der Lechbrücke hörte. Tage vorher war die Widerstandsgruppe, die die Sprengung verhindern wollte, verraten worden. Die Füssener erinnerten sich deutlich an die zuvor tagelangen Artilleriefeuer, den ständigen Luftalarm, an die Soldaten und Volkssturmmänner, die die Erfüllung des wahnwitzigen Durchhaltebefehls mit dem Leben bezahlten. 'Ich war elf Jahre alt', erzählte Eduard Schropp, 'und wir sahen, wie nachts um halb zwei alles erleuchtet war, die Soldaten das Proviantlager in der Sebastianskirche räumten. Hau ab, hieß es in der Frühe, als ich hinausrannte. Dann flog der vordere Teil der Brücke bei der Spitalkirche in die Luft. Ein ganzer Gehsteig schwebte über dem Dach der Kirche.
' Nach Abzug der Truppen holten die ausgehungerten Menschen aus den Lebensmittellagern in der Sebastianskirche, im Stadtsaal in der Turnhalle, was sie transportieren konnten. 'Beichten müsst's das nicht', sagte der Pfarrer, 'das ist herrenloses Gut.' Tragödien blieben nicht aus. Cilly Kahle erinnerte an Selbstmorde, Vergewaltigungen, die Tötung seiner ganzen Familie durch den Vater, einen SS-Mann. Auch die Drohung, Füssen werde Niemandsland, stand im Raum. Kaum bekannt ist, dass einige jüdische Familien in Füssen durch äußerste Vorsicht und Geheimhaltung überlebten. Im ganzen Chaos ging die Angst in der Bevölkerung um. Bei aller Tragik ist den Füssenern der Humor nicht vergangen. Noch heute kann über den Bauern lachen, der bei der Plünderung der Lebensmittellager eine Wagenladung Dosen heimfuhr und keinem was abgab. Er hatte wenig Freude daran, der Inhalt war Tränengas. Auch der frühere Pfarrer Oskar Lützow erinnerte sich: 'Ich war grade 16 und lag in der Krankenhausbaracke, aber ich wollte das Vaterland verteidigen', erzählte er. 'Sie sind groß und blond, Sie sind richtig für die Waffen-SS', sagte ihm ein Offizier, als er doch zur Musterung in den Stadtsaal ging. 'Geht ja nicht zur SS, die sind gegen die Kirche' - das hatte ihm der katholische Pfarrer Wesle eingeschärft, der den evangelischen Buben seinen Ministranten nannte, um ihn zu schützen. So wurde Lützow im April 1945 Soldat. Nach zwei Wochen Ausbildung sollte er mit ein paar Gleichaltrigen in Geisenried an der 'Panzersperre' den Durchbruch der Alliierten verhindern. 'Drei Buben waren wir noch am 27. April, zur Verteidigung entschlossen. Die andern waren nachts heimgelaufen.' Doch die Drohung eines Bauern ('wenn ihr schießt, häng ich euch auf') und der Anblick der amerikanischen Panzerdivision bewirkten, dass die drei in Richtung Füssen rannten. Ein Amerikaner nahm sie fest und brachte sie ins voll gepferchte Lager im Stadtsaal. Lützow machte sich durch eine Hintertür davon, ergatterte eine Zivilhose und rannte zur Mutter.