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Die gute, alte, gutbürgerliche Zeit

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Die gute, alte, gutbürgerliche Zeit

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    Füssen (rea). Oskar Freiwirth Lützow hätte sich sicher gefreut. Sein Kolossalgemälde "Prozession in Leukerbad" beeinflusste unbewusst Generationen von Füssener Schulkindern. Dem Bild im Foyer der Bergerfeldschule galten zwangsweise der erste und der letzte Blick. Doch in den 47 Jahren, die das Gemälde dort hing, bekam es keinen einzigen Kratzer ab ? ein kleines Wunder. Jetzt fand es auf Bitten der Schulleitung einen würdigen musealen Platz im Freiwirth-Lützow-Raum in der Staatsgalerie auf dem Hohen Schloß.

    Der freischaffende Künstler Oskar Freiwirth Lützow war im Kunststil "Bürgerlicher Realist", im Charakter auch ein Praktiker. Denn er hat die Antwort auf die rein pragmatische Frage, wie sich ein vier mal zweieinhalb Meter großes Gemälde von der Schule aufs Schloss bringen lässt, selbst gegeben: Der Goldrahmen lässt sich auseinanderschrauben, die Leinwand ist auf einem klappbaren Gitter befestigt. Zur Vermeidung von Rissen im Bild hat Lützow dieses genau in der Knickstelle mit einem halbrunden Metallband verstärkt. "Faszinierend" für Kulturamtsleiter Thomas Riedmiller, der den Transport organisierte. Auf dem Gemälde offenbart sich die kleine, scheinbar heile Welt der Jahrhundertwende. Die Menschen wirken lebendig, man hört fast die Stimmen der Betenden und die Glocke vom Kirchturm. Die bürgerlichen Realisten, zu denen auch Freiwirth Lützows berühmte Zeitgenossen Leibl, Defregger und Lovis Corinth zählen, verbanden ihre Verwurzelung in Traditionen und Brauchtum schon mit der immer ausgereifteren Fotografie ? ein Stil, der als Neo-Realismus in etwas anderer Ausformung eine Renaissance erlebte. Die Kamera diente Lützow schon damals teilweise als Skizzenblock, das Bild entstand 1906/1907. Mancher Münchner würde vielleicht seinen Urgroßvater wiedererkennen, da Lützow Ministranten der Ludwigs-Pfarrei München verewigte. Und die Akribie, das Streben nach Echtheit ging so weit, dass des Künstlers Gattin Maria von Radde die Prozessionsfahne und den Baldachin in Naturgröße als Vorbild stickte. Der Künstler selbst hat sich und seine Familie in der "Prozession in Leukerbad" selbst portraitiert. Sohn Oskar trägt auf dem Bild eine blaue Samtmütze. Damit entlarvte sich Lützow als Protestant, wie sein Enkel, der evangelische Pfarrer Oskar Lützow, erzählt. Denn der Füssener katholische Pfarrer Wesle habe angesichts des Gemäldes festgestellt: "Du musstÔ des Bild nur anschauÔn, dann weißtÔ, dass der evangelisch ist. Der BubÔ hat seine MützÔ noch auf, des hättÔ ein katholischer nie gÔmacht". Doch auch als Evangelischer schuf sich Oskar Freiwirth Lützow eine Stellung in Füssen. Die Familie, die normalerweise Urlaub in Kochel machte, fand dort eines Sommers keine Unterkunft. Tief erzürnt erkundigte sich Lützow bei einem Freund nach Ersatz ? und der empfahl Füssen. Das war 1906, 1913 zog die Familie nach Bad Faulenbach ins eigene Haus um. Der Kosmopolit Lützow ? geboren in Moskau als Sohn Schweizer Eltern ? zeigte trotz dieser Weltläufigkeit auch am Lech eine tiefe Verbundenheit mit bürgerlichen Werten und Traditionen, die sich unter anderem in der Gründung des Historischen Vereins Alt Füssen ausdrückten. 1925 starb er hier und wurde auf dem Waldfriedhof beerdigt. Die Gemälde Oskar Freiwirth Lützows finden sich heute noch in aller Welt, vor allem auch in Moskau und St. Petersburg. Vieles jedoch blieb in der Familie, die davon wieder vieles der Stadt Füssen als Leihgabe zur Verfügung stellte. Thomas Riedmiller bedauert, dass in der Staatsgalerie auf dem Hohen Schloss nicht mehr Platz ist für die Lützowschen Schätze der guten, alten, gutbürgerlichen Zeit.

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