Von Ralf Lienert, Kempten - 101, 100 und 99 Jahre sind sie alt: Zwischen 1904 und 1906 entstanden die Oberen Illerbrücken. Noch heute gelten die drei Bauwerke in Kempten als die größten Stampfbetonbrücken der Welt. Alle drei wurden sie damals für den Eisenbahnverkehr errichtet. Heute fahren über zwei davon Autos. Gebaut wurden sie, weil vor rund 100 Jahren der Zugverkehr enorm zunahm und die 1852 eröffnete zweigleisige Holzbrücke über die Iller, die heutige König-Ludwig-Brücke, den Belastungen der immer schwerer werdenden Lokomotiven nicht mehr gewachsen war. Außerdem führte sie nur in den damaligen Kemptener Kopfbahnhof (heute Standort Forum Allgäu). 'Für den Fernverkehr von München Richtung Lindau war eine Umgehungskurve und damit der Bau einer neuen Illerbrücke erforderlich', so Stadtarchivar Dr. Franz-Rasso Böck. Außerdem waren zwei weitere Überwege für die Ein- und Ausfahrtsgleise des Kopfbahnhofs notwendig. So wurden insgesamt von 1904 bis 1906 drei Eisenbahnbrücken über die Iller errichtet. Den Auftrag erhielt damals die Dyckerhoff und Widmann AG, die mit der örtlichen Alfred Kunz Gmb H eine Arbeitsgemeinschaft bildete. Die dreigelenkigen Bogenbrücken haben eine Hauptspannweite von 64,5 Metern und eine Länge von 156,5 Metern. Die Höhe der Brücken liegt zwischen 63,6 und 65,4 Metern.
Gastarbeiter bis aus Südtirol Für den Bau der Brücken warb die Firma Kunz Gastarbeiter aus dem gesamten deutschsprachigen Raum an. Bis aus Südtirol kamen die Männer nach Kempten. Für die Herstellung der Betonmassen ließ Alfred Kunz spezielle Betonmischmaschinen konstruieren. Bilder davon liegen im Deutschen Museum in München. Die drei Brücken werden heute oft nur als zwei wahrgenommen. Denn die eine ist eine Zwillingsbrücke, deren Teile nur zehn Zentimeter auseinander liegen. Am 3. November 1904 feierten die Arbeiter die Fertigstellung des ersten Teils, ein Jahr später folgte der zweite Teil. Bei der dritten Brücke im Süden, die 60 Meter flussaufwärts steht, wurden im April 1906 die Stahlverschalungen entfernt. Die mächtigen Bauwerke erregten damals Aufsehen nicht nur in der Fachwelt. Für den Belastungstest dampften zwei schwere Loks langsam über die Brücken. 1907 wurde der neue Rangierbahnhof in Betrieb genommen. Die alte Eisenbahnbrücke aus Holz kaufte die Stadt Kempten und baute sie 1911 für den Straßenverkehr um. Heute ist die König-Ludwig-Brücke nur mehr eine Fußgänger- und Radlerbrücke. Mit der Eröffnung der drei Eisenbahnbrücken wurde Kempten für über 60 Jahre vom Fernverkehr abgehängt. Die Züge von München Richtung Zürich und Marseille hielten nämlich nicht mehr in der Stadt sondern in Hegge. Als Zubringer diente ein Pendelverkehr zum Alten Bahnhof. Als 1969 der neue Kemptener Hauptbahnhof eröffnet wurde, verloren die Gleise in die Stadt ihre Bedeutung und wurden später abgebaut. Über die Zwillingsbrücken führt seit Mitte der 80er Jahre der Schumacherring. Nur die ehemalige Fernverkehrsbrücke dient noch immer der Eisenbahn.