Konkurrenz befeuert so manche Entwicklung. Auch die Geschichte der Bahn zwischen Augsburg und Lindau hat durch die Rivalität zweier süddeutscher Monarchen einen Schub erhalten. Nachdem sich Bayerns König Ludwig I in den 1830er-Jahren wenig für eine Zugverbindung in Richtung Lindau interessiert hatte, kam Schwung in die Geschichte, als bekannt wurde, dass der Württembergische König eine Hauptstrecke nach Friedrichshafen, also an den Bodensee, plante. Das stachelte Ludwigs Bahn-Ehrgeiz an, und so beschloss er 1840, die "Ludwigs-Süd-Nordbahn" von Hof über Augsburg nach Lindau bauen zu lassen. Der Eisenbahnbau war also nicht nur ein Wirtschafts- sondern auch ein Prestigeprojekt.
Tunnel durch die Kugel
Eine ganze Reihe von Ingenieuren traten auf den Plan, die teilweise abenteuerliche Konzepte vorlegten. Unter anderem sollte die Kugel untertunnelt werden. Für die Überwindung der Steigungen stellten sich manche Spezialisten eigenwillige Lösungen vor: So war geplant, einen Wagen mit Wasserballast der Bahn entgegenlaufen zu lassen, um sie über die Steigungen hochzuziehen.
Erst 1847 wurde mit dem Bau der Bahnlinie Augsburg - Lindau begonnen. Die Strecke im Landkreis Lindau stellte die Ingenieure vor große Herausforderungen: Zwischen Oberstaufen und Bodensee war ein Höhenunterschied von 390 Metern auf einer Länge von rund 51 Kilometern zu überwinden.
Dammbau bei Rentershofen
Mit großem Aufwand wurden Bauwerke in die bergige Westallgäuer Landschaft gestellt, die noch heute Eindruck machen, etwa der 160 Meter lange und 28 Meter hohe Viadukt bei Maria-Thann, ursprünglich aus Lärchenholz gebaut und 1881 durch eine Stahlbrücke ersetzt. Noch spektakulärer war die Errichtung des Rentershofener Damms, die 48 Monate in Anspruch nahm. Das 901 Meter lange, 260 Meter breite und bis zu 53 Meter hohe Bauwerk gilt als größter in Handarbeit aufgeschütteter Damm Europas.
Die gewaltigen Baumaßnahmen in der Region hatten Auswirkungen unterschiedlicher Art: Unmengen Material wurden benötigt, Hunderte von Arbeitern hielten sich in der Region auf, und in der Folge trieben Händler, Gastwirte und Bauern ihre Preise in die Höhe. Auch Arbeiteraufstände und Streiks erlebte das Westallgäu in bislang nicht gekannter Form. 1853 war die Teilstrecke Oberstaufen - Lindau fertiggestellt.
Zu Verzögerungen war es durch den Dammbau in Lindau gekommen. Immer wieder neigte sich der Damm am Bodensee zur Seite und versank sogar an einigen Stellen. So musste zunächst ein provisorischer Bahnhof in Lindau-Aeschach eingerichtet werden. Erst ein Jahr später fuhr der bayerische König Max im Salonwagen als erster über den Bahndamm auf die Insel.
1890 wurde der Bahnhof Hergatz zum Kreuzungspunkt von bayerischem und württembergischem Eisenbahnnetz. Die Vernetzung der Westallgäuer Hauptorte mit Hilfe von Eisenbahnschienen erfolgte schrittweise. 1893 wurde die 5,7 Kilometer lange Strecke Weiler - Röthenbach eröffnet, 1901 die 9,9 Kilometer lange Strecke von Scheidegg nach Röthenbach, die auch Lindenberg Auers, Riedhirsch und Goßholz Haltestellen bescherte.
Ein halbes Jahrhundert später drehte sich der Wind: Die Bundesbahn überprüfte ihre Strecken auf Wirtschaftlichkeit und begann, ihre Dienste entsprechend zu reduzieren. 1966 wurde der Personenverkehr zwischen Röthenbach und Scheidegg eingestellt. 1975 bewilligte der Bundesverkehrsminister die Schließung des Abschnitts Lindenberg-Scheidegg. Es folgten die Stilllegungen der Strecken Weiler - Röthenbach(1991) und Röthenbach - Lindenberg (1993). Auf den ehemaligen Zugtrassen tummeln sich heute Radler und Inlineskater.
Ein neues Kapitel in der Bahngeschichte des Westallgäus wird am kommenden Sonntag aufgeschlagen. In Heimenkirch hält erstmals seit 25 Jahren wieder ein Personenzug. Der Markt hatte sich jahrelang um Einrichtung eines Bahnhalts bemüht.
1893 wurde der Bahnhof in Weiler feierlich eingeweiht. Keine 100 Jahre später, im Jahr 1991 hatte der Bahnhof ausgedient.
Repro aus dem Jahrbuch des Landkreises 1999: Matthias Becker