Von Sabine Beck, Kempten - Die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Kempten platzt aus allen Nähten. 'Es reicht hinten und vorne nicht, denn immer mehr Kinder brauchen professionelle Hilfe', sagen Oberarzt Dr. Theodor Christa und Petra Aufter, Rektorin der Sonderschule in der Einrichtung der Katholischen Jugendfürsorge. Bei einem Ortstermin besuchten die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses der Stadt die Klinik. Die Sicherheits-Vorkehrungen der Einrichtung sind enorm: Fenster und Spiegel bestehen aus Glas, das über 100 Schläge mit der Axt bräuchte, um zu zerbrechen. Stühle und Tische sind aus Kunststoff, der nicht kaputt zu kriegen ist, und Wasserhähne oder Duschköpfe sind vollkommen glatt und verlaufen schräg nach unten - damit sich daran keines der Kinder erhängen kann. Auf der anderen Seite sind die Wände bunt bemalt, alles ist hell und freundlich. 'Das haben wir bewusst so gestaltet, damit dieser Knastgedanke gar nicht erst aufkommt', erklärt Christa den Besuchern. Dennoch sei die Sicherheit unbedingt nötig. 'Selbst die Kleinsten entwickeln ein Aggressionspotenzial, über das man immer wieder erstaunt ist', so Aufter. Auf zwei Stationen und in der Tagesklinik werden die Kinder und Jugendlichen betreut. Die Krankheitsbilder reichen von Sozialverhaltensstörungen über HKS (Hyperkinetisches Syndrom) und ADS (Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom) bis hin zu Psychosen. Acht Ärzte, sieben Psychologen sowie Heilpädagogen, Sozialpädagogen, Erzieher und Ergotherapeuten kümmern sich um die Kinder. Vier ausgebildete Sonderschullehrer sorgen für die schulische Ausbildung der stationär untergebrachten, schulpflichtigen Patienten. 'Wir sind nur eine Klinik, kein pädagogisches System' sagt Christa dazu. Die jungen Patienten sollten den Unterricht in der Einrichtung nur übergangsweise besuchen und so bald wie möglich in ihre Stammschulen zurückkehren. Das größte Problem, das die Klinik derzeit habe, sei das Platzproblem. 'Es werden immer mehr Kinder und wir wissen nicht mehr wohin damit', sorgt sich Christa. 70 Prozent der Krankheiten entstünden aus dem Umfeld heraus wie beispielsweise durch zerrüttete Familienverhältnisse, 30 Prozent seien Psychosen. Christa: 'Schon bei sehr kleinen Kindern zeichnen sich zunehmend Persönlichkeitsstörungen ab.' Pro Station würden derzeit elf Kinder und Jugendliche behandelt. Damit seien die Stationen voll ausgelastet. Der Durchschnitt bei der Belegungszeit liege mittlerweile bei 46 Tagen, früher waren es noch 120.
Ursachen oft in der Familie Ein weiteres Problem bereite den Ärzten zunehmend die Suche nach den Ursachen. 'Da gehen wir auch auf die Familien ein', so Christa. 'Die haben aber nur die Erwartung: Repariert mein Kind und lasst uns in Ruhe.' Dabei würden sich die Gründe für die Erkrankungen oft in der Familie finden. Die kämen aber meist nicht von selbst, weil sie sich die Probleme nicht eingestehen wollten. Vielmehr seien es Schulen oder Kindergärten, die die Eltern darauf hinwiesen. Und bis dann etwas passiere, vergehe wertvolle Zeit. Abschließend betont Christ: 'Wir können kein einziges Kind heilen, sondern lediglich zur Stabilisierung beitragen.' Dann müssten die Eltern für ein geregeltes Umfeld sorgen. Und ein weiteres Problem sprach der Oberarzt an: 'Die größten Sorgen bereiten mir Kinder, die wir entlassen müssen, die aber unbeschulbar sind. E-Klassen oder sogar eine E-Schule wären deshalb mein größter Wunsch.'