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Der lange Weg aus der Sucht

Bickenried / Irsee

Der lange Weg aus der Sucht

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    "Ich glaube jetzt an etwas, das größer ist als man selbst - nämlich an die Liebe", sagt Tim Schmolke. Das hört sich für den Hofleiter der Fazenda da Esprerança (Hof der Hoffnung) in Bickenried ganz selbstverständlich an. Schließlich sollen in der Einrichtung ehemalige Suchtkranke (Rekuperanten) durch Arbeit, Gemeinschaft und Spiritualität wieder in den Alltag integriert werden. Doch in Schmolkes Vita war dieser Weg alles andere als vorgezeichnet.

    Der 33-Jährige wuchs in Westfalen und Niedersachsen in bürgerlichen Familienverhältnissen auf. "Ich hatte eine ganz normale Kindheit." Auch Probleme mit Alkohol oder Drogen hatte er nicht. "Aber mit 16 Jahren lernte ich einen coolen Typ kennen, der mich reinbrachte", erzählt Schmolke, der damals mit seiner Familie bei Braunschweig lebte. Zu seinem Kumpel schaute er auf - und bewunderte auch dessen Konsum: Haschisch, Kokain, LSD und schließlich Heroin. Schmolke probierte dann auch alles. "Ich war erst 17 Jahre und in der elften Klasse. Aber innerhalb von einem Jahr voll auf Drogen." Er versuchte aus dem Drogennebel herauszukommen und ging mit 18 nach Berlin, um das Abitur zu machen. Doch in der Großstadt war die Versuchung nur noch viel größer und Schmolke erlag ihr erneut: "Da war es egal, was ich nahm.

    Hauptsache, ich war dicht. Berlin war der wahre Abstieg." Er verlor alle Freunde und soziale Bindungen - schließlich seine Wohnung.

    Es war ausweglos

    Seine Sucht finanzierte er mit Kleinkriminalität und Drogenverkauf. 1996 machte er zwar eine Therapie, aber ohne Erfolg. Die Drogen steuerten wieder sein Handeln. 2000 wollte er sich im Rausch Geld beschaffen, doch die Sache ging schief. Stattdessen suchte ihn die Polizei und Schmolke stellte sich freiwillig. "Es war eine ausweglose Situation." Nach zwei Jahren im Gefängnis folgte eine weitere Therapie und er schien sich aus dem Sumpf befreien zu können: Er heiratete. 2003 bekam das Paar eine Tochter und er arbeitete als Tischler. Doch erneut wurde er schwach. "Aber in der Phase versuchte ich, ein bürgerliches Leben aufrecht zu erhalten.

    " Was misslang: 2006 war er wieder voll auf Drogen und landete nach einer Entgiftung erneut im Gefängnis.

    Von dort ging er - inzwischen suchtfrei - auf den ersten Hof der Hoffnung in Deutschland bei Berlin. Er stand das Jahr als Rekuperant durch, nahm wieder Kontakt zu seinen Eltern auf und arbeitete freiwillig auf dem Hof weiter. Im März 2008 kam er als Hofleiter neben Pater Georg Schlütter nach Bickenried. "Um aus verwackelten Menschen soziale Wesen zu machen, die den Wert des Lebens wiederfinden", erklärt er.

    In den Fazendas werde das Motto Arbeit, Gemeinschaft und Spiritualität sinnvoll gelebt. Die Bewohner helfen bei der Sanierung von Gut Bickenried mit, im Klostergarten in Kaufbeuren - oder Mitbürgern. Schmolke nennt das eine "bodenständige Arbeit", um den Wert des Schaffens für sich und andere zu erkennen.

    Bedeutung der Gemeinschaft

    In der Gemeinschaft lernen die Rekuperanten das Miteinander und den Respekt vor dem Mitmenschen, da sie zuvor komplett auf sich selbst bezogen waren. "Außerdem fehlt eine Familie jeder süchtigen Seele." Die Spiritualität helfe für das Höhere: "Wir praktizieren zwar den katholischen Glauben, aber es geht vor allem um Werte." In 63 Fazendas weltweit funktioniere diese Art, zerrüttete Existenzen zu stabilisieren, damit sie wieder Verantwortung für sich und andere übernehmen. Schmolke jedenfalls ist von dem Hof überzeugt: "Das hier ist lebenswert, es macht Spaß und glücklich." Und vor zwei Wochen hat ihn sogar seine inzwischen sechsjährige Tochter in Bickenried besucht.

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