Boris Becker gewann 1985 als jüngster und erster ungesetzter Spieler sowie als erster Deutscher das bedeutendste Tennisturnier der Welt in Wimbledon. Er triumphierte auch, weil er unkonventionell spielte. Für Professor Hartmut Paffrath ist das exemplarisch: "Damals gab es nur die Lehre vom geraden Schlag beim Tennis. Aber man muss individuelle Stärken fördern, um Erfolgserlebnisse zu bekommen." Die These vertritt der außerordentliche Pädagogikprofessor nicht nur beim Sport, sondern auch in der Wissenschaft. Paffrath wurde so zu einem Wegbereiter der Erlebnispädagogik und kürzlich dafür ausgezeichnet.
"Tennis brachte mir viel für die Praxis. Dabei entstehen neue Motive für Handlungsspielräume. Es war ein Baustein vom Lehr- zum Lernmodell", erläutert der staatlich geprüfte Tennislehrer. Mit seinem Buch "Neue Schule Tennis", dass er mit dem mehrfachen deutschen Tennismeister Max Wünschig 1986 veröffentlichte, revolutionierte Paffrath die konventionelle Tennisschule. "Ich habe einen ganzen Schrank voller Tennisbücher - aber dieses zähle ich zu den besten drei", meinte der damalige deutsche Davis Cup-Kapitän Niki Pilic. Aber Paffrath eckte mit dem Buch auch an. Nicht nur konservative Tennisvertreter, sondern auch Becker-Manager Ion Tiriac kritisierten ihn. Der Rumäne allerdings nur, weil Paffrath den jungen Becker auf dem Titelbild hatte, ohne Tantiemen zu zahlen. "Tiriac verklagte uns, aber verlor den Prozess, da wir keine Werbung machten", erzählt der Irseer.
Er stieß aber noch des Öfteren auf Kritik - auch bei sich selbst.
Der 70-Jährige wurde in Rheyth geboren und absolvierte ein Lehramtsstudium in Köln. Vier Jahre war er Lehrer an einer Hauptschule und studierte nebenbei weiter: "Ich wollte die Praxis theoretisch fundieren." In München promovierte er 1971 über den konservativen Pädagogen Eduard Spranger. Dafür wurde ihm eine glänzende Laufbahn vorausgesagt. "Aber Spranger war mir zu theoretisch, denn nun hatte ich in der Schule den Blick von unten kennengelernt", so Paffrath, der inzwischen Mitarbeiter der Universität Augsburg war. Er habilitierte schließlich mit einem Werk über Theodor W. Adorno, der als Mitglied der Frankfurter Schule der außerparlamentarischen Opposition in den 1960er Jahren nahestand.
Doch Adorno war in der Pädagogik umstritten. Er wollte mit seiner negativen Dialektik den Rationalismus, der auch zum Nationalsozialismus geführt habe, gleichsam rational überwinden und zum mündigen Bürger erziehen. Mit dem Rüstzeug aus dem Traditionalismus Sprangers und der Aufklärung Adornos wandte sich Paffrath der Lehre des Begründers der deutschen Erlebnispädagogik, Kurt Hahn, zu: "Er wollte junge Menschen in ihrer Gesamtheit fördern, sie zur Verantwortung erziehen", erzählt Paffrath. Danach verfeinerte er die Disziplin: Er griff zu neuen Methoden, organisierte Kongresse, publizierte unermüdlich und führte die Zusatzqualifikation Erlebnispädagogik am Augsburger Lehrstuhl ein - dort war er inzwischen außerordentlicher Professor und hatte zudem eine Gastprofessur in Innsbruck. Mit seinen Studenten machte er Höhlenwanderungen oder Segeltörns.
Die Erlebnispädagogik boomt - was Paffrath wiederum auch zum Kritiker seiner Lehre macht: Denn heute werbe jeder mit dem "Erlebnis", wobei der pädagogische Ansatz oft auf der Strecke bleibe. "Ihre Popularisierung birgt auch die Gefahr der Verflachung." Nun wurde Paffrath an der Uni Augsburg der Preis "Erleben und lernen 2010" verliehen.